Ich bin ein großer Fan von Open Data. Offene Daten, Open Source Software und Freie Werke sind das Substrat meiner Arbeit. Mit ihnen kann ich Neues erschaffen oder mir neue Zusammenhänge erschließen. Ich habe also ein intrinsisches Interesse daran, dass viele Daten aus Wissenschaft und der öffentlichen Verwaltung, offen zur Verfügung stehen. Ebenso sehe ich einen gesamtgesellschaftlichen praktischen Nutzen darin, Entscheidungen mit gesellschaftlicher Tragweite datenbasiert zu treffen.
Es ist unbequem und notwendig, eigenen Überzeugungen im Turnus der Jahreszeit zu prüfen. Denn meine Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit, als die Lügen meiner gedanklichen Widersacher. Es ist deshalb an der Zeit, diese Welten in einem anderen, zugegeben etwas überzeichnetem und manchmal sogar polemischen Licht zu betrachten. Es geht mehr als nur Big oder Smart Data: Das Bewusstsein darüber was Wahrheit und Wahrhaftigkeit bedeutet, ist nicht nur ein Resultats eines logischen Prozesses, der sich in Maschinensprache abbilden lässt, sondern ist zunächst ein sozialer und kultureller Prozess.
Da Entscheidungen von Menschen und Maschinen, ganz gleich ob gewollt oder ungewollt, immer häufiger auf der Grundlage von Daten basieren, lohnt ein Blick auf die Entstehung von neuen Realitäten und der Konstruktion von neuen Wahrheiten aus Daten.
Datengetriebene Weltsicht
Ein besondere Herausforderung ist es, negative Seiten zu beschreiben und zu überspitzen, ohne sich gleichzeitig einer zukunftsverneinenden, dystopischen Lethargie hinzugeben. Die Stärke eines dystopischen Narrativs sind die vielfältigen Bilder und Assoziationen, die damit einhergehen. Gleichzeitig kann es ein Hindernis in der Entwicklung einer neuen Zwischenwahrheit sein, da die präsentierte Erzählung stark normativ wirkt und die darunter liegenden Ängste und Befürchtungen bedient. Für einen schöpferischen Umgang mit Zukunft ist das eher hinderlich.
Was sind Daten eigentlich?
Es gibt eine Reihe von Konzepten und Betrachtungen von Daten. Wie die lateinisch Wurzel ‘datum’ (von ‘dare’ für ‚geben‘) anzeigt, werden Daten oft als ‚etwas Gegebenes‘ angenommen.
Daten können als Fakten verstanden werden, also objektive, reproduzierbare Ergebnisse von Messungen, die wahre Aussagen über die Realität liefern. Zum Beispiel die Einwohnerzahl von Ost-Timor oder das Gewicht der Erde. Daten können aber auch als Beobachtungen verstanden werden, also als aufgezeichnete Wahrnehmungen. Diese benötigen Kontextwissen und sind tendenziell subjektiv. Interviews oder Audio- und Videoaufzeichnungen sind Beispiele solcher Daten.
Drittens können Daten als kleinste Komunikationseinheiten oder bits verstanden werden. Sie sind Zeichen die der Kommunikation dienen. Sie haben im Gegensatz keinen Bezug zu realen Phänomenen wie die Faktendaten. Bei ihnen steht der semiotische Charakter im Vordergrund. Repräsentationsformen von Daten sind sehr unterschiedlich, sie lassen sich aber letzten Endes als eine Folge von Bits verstehen.
Daten sind konzeptionell betrachtet Flaschenhälse. Sie komprimieren auswertbare Erscheinungen der Wirklichkeit oder dafür wofür sie gehalten wird. Sie sind nicht einfach „da“, sondern sind das Resultat eines vom Menschen ausgelösten Prozesses mit Vorannahmen und stehen demnach in einer Tradition wie wir die Welt sehen und verstehen (wollen). Sie erfüllen Kriterien eines perfekten Designartefakts: sie enthalten keine ästhetische Dimension, auch wenn sie zunehmend als Ausgangspunkt künstlerischer Schaffens sind, sondern sind maximal für einen speziellen Gebrauch ausgerichtet.
Daten als Endpunkt des Schaffens
Die Intelligenzia scheint sich auf dem Beobachtungs- und Beratungsposten bequem gemacht zu haben. Unter ihr die Heerscharen von Daten- und Informationszulieferer und -verarbeiter, die Architekten von Datenstädten, die wiederum abhängig von Administratoren und Programmierern, den Erhaltern und Schaffern technischer Informationssystemen, sind. Viele eint ein Ziel: die Ordnung des Chaos und Vorhersagbarkeit komplexer Prozesse. Die Automatisierungen von Entscheidungen sind in den einfachsten Routinen ein großer Helfer. Gleichzeitig sind sie das Resultat der Umstände, die eine technologiegetriebene Sichtweise selbst hervorgebracht hat.
Der Gebrauch von professionellen Effizienz-Werkzeugen im Privatbereich, von einfachen ToDo-Listen bis zu Projektmanagementsoftware, die meist gegen den Wert persönlicher Daten getauscht werden, vereinfacht die Organisation unseres Leben, nicht aber das Leben selbst. Sie ökonomisieren es. Sie machen unsere Tagesabläufe zählbar und kategorisierbar. Einzeln betrachtet sind die Datenspuren der Interaktionen wenig aufschlußreich sein – im Bündel können sie noch vor dem eigentlich Akt der Befruchtung eine Schwangerschaft vorhersagen. Im Grunde ist dass nichts anderes, als zu orakeln, man wisse wann die Person XY ins Bett gehe noch bevor sie es tatsächlich täte: sehr wahrscheinlich am späten Abend, wenn in der Wohnung die Lichter ausgehen. Magisch klingt das nur in den Ohren der Unwissenden.
Beispiele die so oder ähnlich bei jedem Big Data Vortrag zu hören sind oder in unzähligen Publikationen verwendet werden und mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination rezipiert werden. Können diese Daten eine Geschichte von uns erzählen? Weshalb trauen wir diesen fragmentarischen Schlüssellöchern der Realität soviel Erzählkraft zu?
Diagnose: Datensucht
Das Narrativ des Internets basiert auf der Vorstellung, eine bessere Gesellschaft durch den einfacheren Zugang zu Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten zu schaffen. In der Informationsgesellschaft ist die Aussage nicht alles wissen zu müssen, unpopulär. Sie widerspricht der Haltung von Wissbegierigen, Forschenden, Kontrollsüchtigen und Ängstlichen. Die Informationsgesellschaft leidet deshalb an Informationssucht die selber produziert: mit jedem generierten Informations-oder Wissensartefakt, wird ein ebenso großer Schatten der Desinformationen geschaffen. Anders ausgedrückt: Ein Artikel schafft einige Leser und ganz viel Nicht-Leser.
Data is god – God is data
Die Heilserwartung der Informationsgesellschaft liegt im Glaubensbekenntnis „Man müsse nur genügend Informationen bereitstellen und konsumieren, dann würde die Welt eine bessere“. Aber dass viel Information, viel Aufklärung und Erkenntnis bedeutet, ist mehr als zweifelhaft. So wie viele, aufeinandergeschichtete Ziegelsteine eine Mauer aber zwangsläufig kein Haus ergeben, sind Daten zur Wissensbildung zwar hinreichend, aber konstituieren selbst kein Wissen. Daten erzählen nichts aus sich heraus. Diese triviale Erkenntnis kann angesichts der wirtschaftlichen Dominanz der Software- und Datenökonomie und deren Verheißungen, nicht oft genug wiederholt werden.
Der Glaube an die Quantifizierbarkeit des Lebens ist ein steter Begleiter zeitgenössischer Innovationsmythen im Tech-Bereich. Der steigende Komplexität der Gesellschaft wird mit Versuchen der noch größeren Kontrolle durch Beobachtungen und Messungen in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen begegnet.
So wie in vielen Religion alle Gläubigen prinzipiell einen „Draht zur Gottheit“ haben und es heute analog dazu, extrem viele Informationen prinzipiell im Netz verfügbar sind, gibt es einige Priester oder Personen aus Politik und Wirtschaft, die einen direkteren Draht dazu haben. Ihre besondere Stellung, hervorgerufen durch finanzielles oder kulturelles Kapital, verschafft ihnen Zugang zu Informationen und Werkzeugen, die andere Menschen nicht besitzen. Barack Obamas Wahlkampf im Jahre 2012 war stark auf die Daten aus Sozialen Netzwerken gestützt. Das Team von Barack Obama konnte sich auf Grundlage dieser Daten auf relevante Wählerschichten konzentrieren.
Die Gefahr der Manipulation auf der Basis von z.B. Verhaltensprognosen, die einzelnen Organisationen exklusiv vorliegen, betrifft nicht nur das Individuum. Organisationen, die nicht über diese Informationen verfügen, haben ungleich schlechtere Chancen. An dieser Stelle mag der oder die Andere einwerfen, dass das schon immer so gewesen sei. Das ist richtig. So wie es vor der Zeit der sozialen Medien prinzipiell auch möglich war, seine Meinung medial zu veröffentlichen und zu verbreiten, ist die Dynamik der Distribution, der Verarbeitung und die Qualität der Informationen und die daraus resultierende Kraft das Entscheidende und Neue, nicht die prinzipielle Möglichkeit als solche.
Das Ende der Theorie?
Algorithmen beeinflussen das Feld, dass sie messen. Big Data erlaubt die Leistung zu vergleichen, die nicht zu vergleichen sind. So die Allgemeinplätze. Hypothesen werden aus den Daten erstellt. Davor wurden die Daten aus den Hypothesen erstellt bzw. waren deren Resultat. Während der Aufklärung glaubte man sich mithilfe der Statistik vom Mythos befreien zu können. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt. Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen.
Mythen spielen in gesellschaftlich-politischen Diskursen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle, so könnte man meinen. Aufgeklärte Gesellschaften und die die sich dafür halten, konnotieren den Begriff Mythos im alltäglichen Sprachgebrauch eher mit dem Trugschluß oder Unwahrheit, denn als gesellschaftlich konstituierende Erzählung, deren Plausibilität nicht in Frage gestellt wird. Doch auch in modernen Gesellschaften finden primitive Mythen ihren Platz. Fragen nach Herkunft, Identität, Sinnstiftung, Heilserwartung und Vorhersagbarkeit bekommen nur neue Projektionsflächen und Agenten. Doch schon der Mythos ist Aufklärung, und Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.
Zählen, analysieren, prognostizieren, abwarten
Auf unterkomplexen technischen Systemen die auf der Turing-Maschine basieren, sollen chaotische soziale Prozesse erfassbar, kategorisierbar und erklärbar gemacht werden. In Platons Höhlengleichnis käme das einer Wissenschaft gleich, die eine Epistomologie von Farbe, Konturen und Bewegung der an die Wand projizierten Schatten zum Gegenstand ihres Interesses erklärt. Einfach beherrschbar, evident, mit eindeutigen und reproduzierbaren Resultaten.
Ähnlich verhält es sich mit allen datengenerierenden Methoden, die weniger mit einer Beobachtung und deren Holismus nicht in eine bineäre Logik zu pressen sind, sondern mehr einer einfachen Zählung gleichen. Zählen bedeutet nicht erzählen. Der Dataismus, ähnlich wie im Dadaismus entbehrt seines Narrativs, die Wörter werden ihrer Bedeutung beraubt. Fragmente höherer Bedeutungszusammenhänge können beliebig eingesetzt werden und haben dadurch im günstigen Fall die Kraft die Wirklichkeit anders und besser darzustellen.
Die Kraft die Daten in ihren verschieden Interpretationsformen erhalten können, entsteht tatsächlich nicht aus den Daten als solchen, sondern aus dem kulturellen Kontext des Betrachters. Hier entsteht sie. Hier wirkt sie. Dieser Kontext verarmt, wenn Daten einseitig von Datenanalysten bearbeitet werden, die in ihrer Hermeneutik die Kunst der „Bedeutung hinter den offensichtlichen Bedeutungen“ nie erlernt haben.
Die Zahlen sprechen nicht für sich
Die Unterscheidung zwischen dem Signal und dem damit codierten Subjekt oder Objekt zerfällt. Das Signal wird selber zum Objekt einer neuen Wirklichkeit. Algorithmen berechnen bereits vereinfachte Dinge. Nicht die Dinge selbst, sondern deren Signale. Diese Daten sind notwendig für Fakten. Fakten sind Grundlagen zur Konstruktion einer Wirklichkeit. Dies macht Daten so interessant für Wissenschaftler, Journalisten und Ingenieure. Fakten konstruieren Wirklichkeit, jedoch keine Wahrheit. Raw Data hat als solchen haben keine Ikonographie, keine Deutung und Bedeutungsgrößen.
Diese Reduktion der Wirklichkeit auf binäre Zustände kommt an mindestens zwei Momenten an den Flaschenhals ihrer Erklärungskraft: im Moment der Kreation der Maschine und in dem Moment, wo aus den gewonnen Daten ein Narrativ gebildet wird.
Beide Punkte sind hochgradig kulturell codiert und entspringen aus bestimmten Wertesystemen und deren dominanten wissenschaftlichen Paradigmen. Solange das mathematische Denkgebäude nicht verlassen wird, gibt es damit keine Probleme. Reliabilität ohne Wahrheit. Dass der Satz „1+2 = 3“ wahr ist, folgt nicht aus einem Blick auf die Realität oder entspringt aus einem bestimmten ideologisch geformten Denken, sondern folgt aus den Grundannahmen, nach denen das Zahlensystem definiert wird.
Logische Gesetze der Mathematik spiegeln nicht den Teil der Realität dar, den viele Realität nennen. Sie sind die Wiederholung des Gleichen, ohne dass sie den Menschen etwas Neues über die Dinge mitteilen, wie es Leibniz formulierte. Die Sätze der Logik sind Tautologien, sie sagen also „Nichts“. So sagen auch Daten „Nichts“.
Korrelation bedeut nicht Kausalität
Das Erkennen von Abhängigkeiten zwischen zwei Größen, heißt das nicht, dass die eine die andere verursacht. Der umgekehrte Fall kann auch zutreffen oder beide Größen hängen gleichermaßen von einer dritten ab. Oder es kann auch reiner Zufall sein: Die Größen sind unabhängig voneinander. Obwohl diese wissenschaftstheoretischen Grundlagen den meisten Akademikern, denen die Deutung von Daten bekannt sein dürfte, sind diese Kurzschlüsse regelmäßig bei den Professionen zu beobachten, die sich mit Daten auskennen müssten: Ingenieure, Informatiker oder Wirtschaftswissenschaftler. Wie soll es Personen ergehen, die zunehmend in den wachsenden Bereichen einer datenzentrierten Wirtschaft arbeiten? Das künftigen digitale Proletariat braucht keine datenphilophischen Exkurse, sondern soll die Blackboxes vollgepackt mit unumstößliche Fragmente der Realität bedienen und nicht hinterfragen.
Das große Zählen
Mit neuen technischen Möglichkeiten steigen auch Anwendungsmöglichkeiten und Unanwendungsmöglichkeiten. Technologien können heutzutage günstiger und schneller Daten zu Informationen verarbeiten, als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Alleine die Möglichkeit, alle Apfelbäume im Garten zu erfassen und sie schneller zu zählen, gebärt den Wunsch, auch die Birnbäume, die Hecke und jeden Grashalm zu zählen. Das Machbarkeitsprinzip ist was für Macher.
„Wenn es technisch möglich ist, dann sollte es auch getan werden“, lautet der Leitspruch, der verführerisch nach Innovation, Aufbruch und Revolution klingt. Macher machen. Wir beobachten, analysieren und prognostizieren immer mehr und bleiben dabei erstaunlich passiv. Der Verzicht auf das Machbare ist ein passiver Akt. Passivität ist in ihrer natürlichen Struktur dem aktiven Handeln unterlegen. Deshalb ist ein „aktives“ Unterlassen unpopulär. Daten gezielt nicht zu erfassen bleibt deshalb stets ein schwächerer Akt als das Datensammeln. Oder wie könnte sich ein Unternehmertum des „Unterlassens“ von Möglichkeiten gestalten?
Daten zur Liebe
Wenn wir an die Liebe denken, also das was die alten Griechen unter dem „starken Verlangen“ verstanden haben, ist es in einer Zeit, in der Effizienz und Planung das eigene Leben strukturiert, konsequent und sinnvoll, auch diesen Bereich mithilfe digitaler Werkzeuge zu bewältigen. Datingportale versprechen durch unterschiedliche Funktionen und Wirkungsweisen der Algorithmen die Partnerwahl zu erleichtern.
Wenn wir den Liebesalgorithmus ablehnen, verweigern wir uns dem unrealistischen Zustand einer prädestinierten, berechenbaren und fremdgesteuerten Gefühlswelt. Diese ist in einer scheinbar komplett erforschten Welt, das letzte Refugium des Menschen. Gleichzeitig ist uns die Steuerung einer chaotischen Welt, was unser Liebesleben angeht, nichts, was die meisten nur dem Zufall überlassen würden. Die Angst vor der Maschine als Black Box, enthüllte wohl eher die überschätzte Leistung dieser Systeme als Begleiter eine vorhersehbaren und kontrollierbaren Zukunft. Wie sollte man sich ihr auch in Anbetracht der unzähligen Optionen auch verschließen?
Propheten der Rechenoperation
Wer glaubt durch den bloßen Hautkontakt mit den Touchscreens und einer feingliedrig-geschickten Bedienung dieser Technik am Ende der Schöpfungsgeschichte zu stehen, wird in absehbarer Zeit keinen Dämpfer seiner Hybris erfahren: Die Bedienung von Touchscreens sind ein beliebtes Image welches für Modernität, technologischen Fortschritt und urbanen Lifestyle steht. Eine Folge ist die weit verbreitete und fanatisch anmutende Verherrlichung dieser technologischen Artefakte.
Das Narrativ der Heilserwartung ist oft ähnlich: der Glaube an Fortschritt und positiver Veränderung. Gesellschaftlich oder zumindests individuell. Doch diese technischen Systeme sind nicht kulturell neutral. Eine Adaption von technologischen Know-How über Facebook oder Google, geht immer mit einer Enkulturation einher. Zwar gibt es keinen Determinismus der besagt, welche Auswirkung diese oder jene Technologie bewirken wird, da das Individuum potenziell in der Lage ist, Technik außerhalb ihrer Vorherbestimmung zu gebrauchen. Bis es aber zu dieser Fähigkeit kommt, bedarf es einer gewissen Aneignung dieser Kultur.
Eine derartige Kultur des Digitalen, sei sie auch so gegenständlich wie abstrakt, braucht menschliche Agenten. Menschen die in Vorträgen Büchern, Artikeln oder Videoclips eine bessere Welt versprechen, wenn man nur ihrer Technik oder in abgeschwächter Form, ihren Ratschlägen folgte.
Schlaue Maschinen?
Trotz der gigantischen Datenmengen und smarter Algorithmen bleiben die Maschinen dumm. Sie sind der Handlanger derjenigen die versuchen das Chaos zu ordnen und in unserem Sinn zu beeinflussen um daraus Kapital zu schlagen. Eine Personalisierung ohne Personen oder Subjekte. Innerhalb dieser Applikationen wird ein Profil aufgebaut und interagiert. Dabei ist das Profil wirklich, aber meist wohl weniger wahrhaftig.
Die Ödnis dieses Systems liegt nicht an der fehlenden Galanterie oder der Katzbuckeligkeit ihrer Akteure, sondern gerade im messbaren Erfolg dieser Portale. Sie werden dort auf größte Resonanz stoßen, wo eine buchhalterische Wahrheit über die unbeschreiblichen Dinge der Welt herrscht und eine einjährige Weltreise nach Plan als erfolgreich betrachtet wird.
Die Überforderung des Individuums auf einem „Liebesmarkt“ voller sexueller Begehrlichkeiten und übersteigerter Narrative, die durch die Zugänglichmachung von Darstellungen skizzenhafter Menschen gesteigert wird, kann konsequenterweise mit Technik begegnet werden: mit Empfehlungen und Filtermöglichkeiten. Damit wird der User ermächtigt, weitaus mehr Entscheidungen zu treffen und einen größeren Wirkungskreis zu entfalten, als es für die meisten Menschen offline möglich wäre. Hier liegt der individuelle Gewinn des Gebrauchs und gleichzeitig die Ödnis der Logik.
Was die Daten nicht verraten
Es scheint als Paradox, dass die Aufklärung der „harten“ Wissenschaften die Sehnsucht nach Metaphysik, Spiritualität, Mythen und Sinnstiftung verstärkt. Verschwörungstheorien bilden eine Teilmenge dieser Überzeugungssysteme. In einer Welt in der alles Messbare gemessen, alles Zählbare gezählt, alles Sichtbare gesehen, wird das der trivialen Erfahrbarkeit Entzogene immer wichtiger und die Sehnsucht nach dem Unmessbaren zum neuen Attraktor. Die Welt des eindeutigen, einseitigen, reproduzierbaren und vollständig Erklärten, gähnte uns sprichwörtlich an. Eine humboldtsche Expedition auf bekannten Ufern.
Die Jagd auf Zwischenkategorien, der Verzerrung der Messungen und der fehlenden Begrifflichkeiten, tritt an die Stelle des Faktischen. Es scheint das Rückzugsgebiet für Diejenigen zu werden, die dem Messbaren und Offensichtlichen keinerlei Faszination entgegenbringen, sondern Gleichgültigkeit bis Misstrauen. Ihren Phantasmen bilden sich in einer datengetriebenen Welt nicht ab: es fehlt das verbindende Narrativ zur ihrer assoziativen Welt der Bedeutungen.
Handeln wider der Statistik
Entscheidung auf Grundlage von Nachvollziehbarkeit und logischen Schlußfolgerungen zu ziehen, ist eine Errungenschaft der Wissenschaft und Aufklärung. Weder das Knochenwerfen oder die Gedankennachricht an eine metaphysische Adresse (Gott), sollten die Basis von Praktiken sein, die unser Miteinander gestalten und bestimmen. Es gibt nicht wenige Menschen, die sich Personen in hohen Ämtern wünschen, die nach der Grundlage von Statistiken und Daten Entscheidungen fällen. Dies mag hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit von politischen Handeln legitim sein.
Aber welche Bedeutung hat eine Position, die ihre Entscheidung stets nach dem zählbaren, errechenbaren und eindeutigem Ergebnis ausrichtet? Sie wird überflüssig. Die Entscheidung hat die Maschine bereits gefallen. In einer Welt, in der Entscheidung nicht nur maschinengestützt, sondern von Maschinen selbst gefällt werden, weil sie in den meisten Fällen den Menschen in dieser Tätigkeit hinsichtlich ihrer Fehler überlegen sind, werden zunehmend andere Arten der Entscheidungen wichtiger: die intuitiven, emotionalen und kreativen. Die Stärke der Rechenoperation hängt von dem Einsatzfeld ab. Das Urteil über sie ist konstruiert.
Oder wie nerdiger Rosa von Praunheim es formulieren würde:
„Nicht der Algorithmus ist pervers, sondern die Situation, in der er verwendet wird.“