Der Cyberflaneur

Flaneur

Zugegeben der Stadtraum-Cyberspace-Vergleich ist irgendwie müßig. Analogien werden i.d.R. vor allem dann gebraucht, wenn das Verständnis des Adressaten oder die eigene Vermittlungsgabe an seine Grenzen kommt. Im Artikel von Evgeny Morozov in der SPON leben diese Vergleich von „Realwelt“ und „Cyberwelt“ wieder auf.  Aber auch zurecht wie ich finde: Das Spazierengehen, das Flanieren im Netz stirbt einen langsamen Tod. Schuld sind Facebook und Google. Effizienzversessenheit und die Tyrannei des Sozialen machen dem Cyberflaneur den Garaus, so Morovoz. Nebenbei bemerkt sind solche Megakonzerne wie Facebook und Google immer eine sehr beliebte Zielscheibe von Kritik. Auch von mir. Und das zurecht.

Eine Kritik an solchen Monstern der Macht ist zwingend, sei sie auch inhaltlich nicht immer richtig. Zurück zum Artikel: Wenn ich davon ausgehen kann dass viele dazu tendieren immer die gleichen Seiten aufzurufen wie z.B. Wikipedia, Spiegel online, Facebook, (Google) dann surfen sie zielgerichtet innerhalb dieser Seiten. Flanieren sie, dann stoßen sie auf dem Weg nicht an bedeutsam Neues sondern an in gleicher Struktur Neuem.

Dazu die Analogie des Spaziergangs: Auf meinem Weg mit klarem Ziel werde ich seltener in die Erfahrung neuer Aspekte meiner gebauten und sozialen Umgebung kommen. Dagegen lässt das Flanieren  Zeit und Raum für kleine Reflexionen zu die man untergetaucht in der Masse vornimmt. Eine Beobachterrolle innerhalb eines Geschehens. Übertragen auf das Verhalten im Netz kann das bedeuten das wir alle Informationen schnell abfragen können ohne auf die Seiten selbst zu stoßen; „Google antwortet.“  Fraglich auch die Parxis eines Internets im Internets in dem man die Quelle der Information nicht mehr besucht sondern nur innerhalb von z.B. Facebooks kommuniziert. Aber dazu an andere Stelle mehr.

Das Kredeo von Suchmaschinen wie Google lautet stark verkürzt: Ist etwas relevant dann wird es angeklickt. Laut dieser Logik sind weniger frequentierte Seiten weniger relevant. Besonders im kulturellen Bereich ist das jedoch höchst fragwürdig. Musik einer Band wie Lightning Bolt oder Melt Banana widme ich vergleichsweise wenig Zeit. Dennoch ist die Musik weit über herkömmliche Existenzberechtigung hinaus wichtig. So braucht es im Netz Ecken und Nischen außerhalb bestehender Megasites. Das ist soweit be-und anerkannt.

Die Aussage von Musikern, „Ich brauche keine eigene Website es gibt doch myspace.com“ ist nachzuvollziehen. Standardisierte Plattformen bieten mit ihren Funktionalitäten die eine eigens gebastelte Homepage seltener anbieten kann, eine vereinfachte Form der Kommunikationen zwischen Interessierten. Diese Seite des Rationalisierten führt aber auch zu einer Entwicklung einer sehr fragwürdigen Logik. Die immer gleiche Reproduktion von Design und Content bewahrheitet sich durch ihren fortwährenden Prozess immer mehr.

In den sozialen Netzwerken kann das heißen: Was viele tun, tun viele. Der empfohlene Inhalt wird konsumiert weil viele andere ihn auch konsumiert haben. Der unfokussierte Gang des Cyberflaneurs der auf Seiten zufällig trifft, kann dagegen eine Art des Surfens im Netz sein. Auf Inhalte zu stoßen die nicht gerated oder empfohlen worden sind bedeutet Unerwartetes, Geheimnissvolles oder Langweiliges.

So wie alles Interessante aus dem Unerwarteten entspringt, so kann der Blick innerhalb einer Masse in der der Cyberflaneur untergetaucht ist, nur dann neue Details entdecken wenn er sich ihrer Geschwindigkeit und Betrachtungsweise entsagt. Oder anders ausgedrückt: Wir können nichts Neues entdecken wenn wir in alle das gleiche Fernrohr schauen. Ok. Ich geh raus. Spazieren am Rhein. Wie ungezwungen zeitraubend schön.

Damian Paderta
Damian Paderta
Webgeograph & Digitalberater