Wer ist gegen Offenheit? Niemand. Man könnte meinen, Offenheit ist auf einem aufsteigenden Ast. Der Begriff der Offenheit (Synonym: Open oder Openess) kursiert in vielen Teilen der Öffentlichkeit immer stärker: Open Source (Software), Open Access, Open Data, Open Government, Open Knowledge, um nur einige zu nennen. Aus einer optimistischen Sichtweise heraus betrachtet ist diese Philosophie auf dem Siegeszug: Organisationen werden (scheinbar) zunehmend transparenter – Open Source Betriebssysteme wie Android beherrschen die Welt der mobilen Endgeräte. Die Zukunft von Wissenschaft und Medizin liegt in der Zusammenarbeit (Open Science). Die Zukunft der Unterhaltung sind zunehmend partizipative Formate.
Jede dieser Zukunftsvisionen ist auf ein offenes Internet angewiesen.Wenn diese Ziele so einleuchtend und parteiübergreifend abgenickt werden, dann liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um ein recht leeres politisches Ideal handeln könnte. Vor allem, wenn niemand im Großen und Ganzen widerspricht. Ist Offenheit also eine leere Hülle?
Grundlegende Annahmen von Open
Offenheit bezieht sich auf die Möglichkeit, technischen oder physischen Zugriff auf Ressourcen zu haben. Hierbei fokussiere ich auf digitale Ressourcen, darunter Daten, Informationen und kreative Inhalte wie Texte, Videos und Bilder. Das Internet hat von Anfang an das Versprechen eines globalen Informationszugangs verkörpert, wobei die einzigen Voraussetzungen ein Internetzugang sowie die notwendige Hard- und Software sind, um auf Webseiten zugreifen zu können.
Ein Paradebeispiel für die Umsetzung dieser Vision ist Wikipedia – ein Projekt von historischer Tragweite, das trotz seiner Herausforderungen auf politischer und technischer Ebene den Zugang zu Wissen weltweit demokratisiert hat. Im Gegensatz dazu ähneln viele andere Online-Angebote einem kostenlosen Busfahrschein, der einen zwar zur Bibliothek fährt, aber nicht den kostenlosen Erwerb von Büchern ermöglicht. Viele Internetdienste erscheinen zwar kostenlos, werden aber indirekt durch die Daten der Nutzer bezahlt, oft ohne deren explizites Bewusstsein dafür.
Die Schönheit von Offenheit liegt in ihrer Flexibilität und darin, dass sie nicht streng definiert oder auf eine einzige Form beschränkt ist. Diese offene Definition macht sie attraktiv und kraftvoll. Offenheit ist – auch wenn manche sich dagegen sträuben und ihr nur einen systemischen Charakter bescheinigen möchten – tief mit Ideologien und Weltanschauungen verbunden, besonders wenn man sie im Kontext von Gemeingütern und einer Haltung gegen kommerzielle Ausbeutung betrachtet.
Poppers offene Gesellschaft
Um dies besser zu erläutern, möchte ich einen inhaltlichen Bogen zu Karl Popper, Soziologe und Autor des Buches “Die offene Gesellschaft und ihre Feinde” schlagen. Während des Zweiten Weltkriegs verteidigte Karl Popper das kapitalistische System gegenüber den Alternativen der damaligen Zeit. Seiner Überzeugung nach waren „Geschlossene Gesellschaften“ solche, die auf unanfechtbare Wahrheiten, sogenannte Gesetze der Geschichte oder des Schicksals gegründet waren. Diese Narrative haben aktuell weltweit Hochkonjunktur in nationalistischen, faschistischen und populistischen Strömungen. Offene Gesellschaften sind nach Popper unter anderem solche, in denen die Totalisierung des Wissens notwendigerweise unmöglich war. Dabei geht es weniger um die Argumente die seitens Popper hervorgebracht werden, sondern vielmehr um die allgemeine Struktur seiner Abhandlung. In dieser beschreibt er die geschlossenen Gesellschaftskonzepte wesentlich stärker als die der offenen. Mit guten Gründen: eine konkrete und positive Beschreibung einer offenen Gesellschaft würde neue Wahrheiten und Bilder erzeugen und Grenzen aufzeigen und sich nur inhaltlich – nicht strukturell – von denen geschlossenen unterscheiden. Ihre Beschreibung hätte nur vorläufigen Charakter.
Hat dieser jüngste Aufstieg der Offenheit einen eigenen ausgeprägten politischen Inhalt? Zunächst einmal müssen wir feststellen, dass es sich um eine Politik nach dem Vorbild einer hochgradig idealisierten Version der Softwareentwicklung handelt. Es zielt darauf ab, kollaborativ zu sein, was wirklich bedeutet, dass es als Basar fungieren und die Aktivitäten der Regierung als Konkurrenz zwischen den Mitgliedern von innen und außen neu erfinden will. Die Teilnahme erhöht die Zahl der Zusammenarbeit und Transparenz ist, die an der Lösungsentwicklung teilhaben können oder die für einen echten Wettbewerb notwendig ist. Das Ziel der offenen Politik ist also nicht Fairness, bessere Arbeitsbedingungen oder irgendein anderer erkennbarer politischer Wille, sondern Innovation durch Zugänglichkeit gemeinschaftlicher Ressourcen. Das heißt, es ist keine Politik, die auf bestimmte Veränderungen ausgerichtet ist, sondern auf Veränderungen im Allgemeinen.
Openness nur für Weltverbesserer und staatliche Organe?
Das Zurverfügungstellen von digitalen Ressourcen ohne Rückfluss ist aus Sicht einer klassischen unsolidarisch ökonomischen Sichtweise weder wahrscheinlich und noch wirklich tragfähig. Staatliche Organe und Nichtregierungsorganisationen erfüllen diese Voraussetzung aus klassischer Sicht noch am ehesten und sind daher plausiblerweise die ersten Ansprechpartner für die Ansprüche an Offenheit digitaler Ressourcen. Was haben Google und die Open Knowledge Foundation gemeinsam? Beide sind Open Data Befürworter. Letzterer ist ein Verein mit in einer Community, die sich ehrenamtlich als auch professionell Open Data und mit Themen der Offenheit beschäftigen.
Openness demokratisiert? Nicht direkt. Auch wenn mit der Verbreitung des Internets von einer neuen Epoche die Rede ist: Die grundlegenden kapitalistischen Mechanismen haben sich nicht geändert: die Akkumulation und Zentralisierung des Kapitals auf einige wenige, kaum kontrollierte und nicht demokratisch legitimierte Player relativieren die demokratisierenden (möglichen) Effekte wie Transparenz und Rechenschaftspflicht von Organisationen, Wissenserwerb und Entwicklung und Selbstermächtigung, um nur einige Wesentliche zu nennen.
Spätestens zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wurde mit dem Internet als Mainstreamangebot die Open-Bewegung geboren. Zahlreiche Organisationen und Initiativen wurden mit dem Glauben an Offenheit und freies Wissen ins Leben gerufen. Ihre Befürworter setzten auf die kombinierte Kraft von vernetzten Informationsdiensten und neuen Governance-Modellen für die Produktion und den Austausch von Inhalten und Daten. Als Mitglieder dieser Bewegung – gehörte ich zu denjenigen, die es für möglich hielten, diese Kombination aus Macht und Möglichkeiten zu nutzen, um eine demokratische Gesellschaft aufzubauen und die Kraft des Internets zu entfesseln, um einen universellen Zugang zu Wissen und Kultur zu schaffen. Für mich bedeutete eine solche Offenheit nicht nur Freiheit, sondern stellte auch einen Weg zu mehr Gerechtigkeit dar.
Die offene Revolution hat jedoch nicht stattgefunden. Zumindest nicht in dem Ausmaß, wie ich und viele andere Befürworter der freien Kultur erwartet hatten. Trotzdem hat die wachsende Open-Bewegung die Realisierbarkeit dieser Ideen bewiesen. Als Beweis haben wir Wikipedia, Open-Data-Initiativen, den Aufstieg des Open-Access-Publizierens, die Rolle freier Software für die Infrastruktur des Internets und die allmähliche Öffnung von Sammlungen vieler Institutionen im Kontext des kulturellen Erben.
Offene Ansätze gedeihen momentan unter zwei Arten von Bedingungen. Projekte, bei denen viele Menschen zur Schaffung einer gemeinsamen Ressource beitragen – das ist die Story von Wikipedia, OpenStreetMap, Blender.org und den unzähligen freien Software-Projekten, die einen Großteil der Infrastruktur des Internets bereitstellen. Zweitens bei Umständen, in denen die Öffnung eher das Ergebnis externer Anreize oder Anforderungen als freiwilliger Handlungen ist – dies ist die Geschichte von öffentlich finanzierter Wissensproduktion wie Open-Access-Wissenschaftspublikationen, gemeinfreien Sammlungen des kulturellen Erbes, Open Educational Resources (OER) und Open-Government-Daten.
Im Laufe der Zeit erleben wir eine signifikante Entwicklung der normativen Basis unserer Bewegung beobachtet – weg von einer Rechtfertigung, die auf der freiwilligen Ausübung von Rechten durch individuelle Schöpfer basiert, hin zu einer Rechtfertigung, die auf der Produktion von sozialen Gütern beruht. Doch es passierte noch viel mehr.
Sharing statt open
In den vergangenen zehn Jahren haben wir eine umfassende Transformation des vernetzten Informationsökosystems erlebt. Das Web hat sich von den Idealen und dem offenen Design des frühen Internets entfernt und sich in eine Umgebung verwandelt, die von einer kleinen Anzahl von Plattformen dominiert wird.
Die Konzentration der digitalen Macht in den Händen einiger weniger Plattformanbieter hat die Funktionsweise dieses Ökosystems grundlegend verändert. Mit diesem Wandel hat sich auch der Kontext für die offene Produktion und das Teilen verändert. Parallel dazu haben wir die Entstehung einer robusten vernetzten Informationswirtschaft erlebt, die dazu geführt hat, dass immer mehr Informationsressourcen online verfügbar sind. Während sich die Open-Bewegung ursprünglich als Reaktion auf einen wahrgenommenen Mangel an Verfügbarkeit von Informationen und Inhalten konstituierte, agiert sie nun im Kontext eines Überflusses an ebendiesen Ressourcen.
Während Open-Organisationen einen plattformunabhängigen Ansatz des Teilens fördern, der auf einer standardisierten öffentlichen Lizenzierung basiert, haben es die Plattformen der Sharing Economy geschafft, geschlossene Systeme aufzubauen. Diese ermöglichen das Teilen innerhalb ihrer Grenzen, basierend auf standardisierten Bedingungen und Konditionen. Dieser Ansatz hat es den Plattformen ermöglicht, die Reibung beim Teilen zu minimieren.
Soziale Medien schaffen Ökosysteme, in denen das Teilen gefördert wird, aber alles nur innerhalb des Raums eines bestimmten Dienstes stattfinden soll. Die Grenzen dieser Räume werden stark bewacht, wie Instagram mit der Unterbindung von Hyperlinks oder Facebook mit den Warnhinweisen beim Verlassen der Webseite zeigt. Innerhalb dieser Grenzen unterstützen die Plattformen ein hohes Maß an Kreativität, während sie gleichzeitig die totale Herrschaft über ihr Inhaltsökosystem haben. Infolgedessen findet der größte Teil des heutigen Austauschs von kulturellen Ausdrucksformen auf kommerziellen Plattformen statt. Diese Entwicklung ging Hand in Hand mit der zunehmenden Bedeutung der mobilen Internetnutzung, die die Benutzerinteraktion weg vom „offenen Internet“ hin zu weitgehend in sich geschlossenen Apps verlagert hat. In diesen Ökosystemen ist die freie Lizenzierung – das Hauptinstrument der Open-Bewegung – weitgehend nutzlos und dient bestenfalls dazu, eine ideologische Position ohne praktische Auswirkungen zu signalisieren.
Plattformkapitalismus und Offenheit
Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Daten im digitalen Zeitalter eine entscheidende Ressource darstellen. Zahlreiche Metaphern versuchen, ihre strategische Rolle zum Ausdruck zu bringen, indem sie sie mit natürlichen Rohstoffen oder Infrastrukturen vergleichen. Die Notwendigkeit, die Macht der Daten nutzbar zu machen, wird fast überall und in allen Bereichen zum Ausdruck gebracht. In der Realität sind jedoch der Zugang zu Daten und die Fähigkeit, Daten zu nutzen und aus ihnen Nutzen zu ziehen, ungleich verteilt.
Die Menge der von kommerziellen Unternehmen gesammelten Daten nimmt zu. Datengesteuerte Geschäftsmodelle stehen im Mittelpunkt der Unternehmensstrategien und führen zu einer nie dagewesenen Zentralisierung nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der sozialen und politischen Macht. Hinzu kommt, dass Daten, die sich im Besitz von Unternehmen befinden, de facto deren Eigentum sind, auch wenn sie rechtlich und wirtschaftlich den Status eines öffentlichen Gutes und einer nicht konkurrenzfähigen Ressource haben. Diese Dateninhaber fungieren als Gatekeeper, die den Zugang zu den Daten kontrollieren und in vielen Fällen einschränken, vor allem durch technologische Maßnahmen. Die derzeitige Datenökonomie basiert daher in erster Linie auf der Aneignung und Gewinnung von sozialen Ressourcen durch Daten. Die Privatisierung von Daten wiederum dient eher den Unternehmensgewinnen als dem Gemeinwohl, insbesondere weil der Zugang zu den Daten, wenn er denn gewährt wird, privaten Akteuren zugutekommt.
Wir sind mit einer spiralförmigen Bewegung konfrontiert, die Werte aus dem öffentlichen Bereich in den privaten Sektor abzieht. Dies ähnelt sehr einer “einseitigen Allmende”, bei der Daten von privaten Akteuren frei erfasst und genutzt werden können, aber keine Verpflichtung besteht, etwas zurückzugeben. Daten werden häufig als Wirtschaftsgut betrachtet, das ausschließlich privaten Unternehmen zur Verfügung stehen sollte, um wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und Wettbewerbsvorteile zu festigen. Sogar die gemeinsame Nutzung von Daten wird als Mittel zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen interpretiert.
Es gibt immer noch einen bedeutenden Wert in Open, aber nur in jenen Content-Ökosystemen, die bisher nicht von Online-Plattformen in der Art und Weise dominiert werden, wie es in der Mainstream-Kultur- und Informationslandschaft der Fall war. Dabei handelt es sich größtenteils um professionelle und institutionelle Umgebungen.
In diesen „traditionellen“ Ökosystemen ist das Kopieren von Inhalten immer noch eine praktikable Option; Bildungsverlage kopieren Inhalte aus OER-Repositorien, Open-Access-Modelle ermöglichen den Fluss von Inhalten zwischen verschiedenen akademischen Verlags- und Bibliothekssystemen, und Text- und Data-Mining-Praktiken behandeln das Kopieren von Daten als eine entscheidende Funktionalität. In diesen Kontexten werden rechtliche Lösungen benötigt, um die Regeln für die Nutzung von Inhalten zwischen verschiedenen proprietären Plattformen und Umgebungen zu vermitteln.
Wir sollten erwarten, dass diese Ökosysteme bald in den Bereich der Plattformlogik fallen. Langsam wird es Zeit, sich einzugestehen, dass eine Vielzahl kleiner Siege angesichts der monopolistischen Macht, die die heutigen Plattformen ausüben, nicht ausreicht. Die einzig sinnvolle Maßnahme ist, in Alternativen zu diesen Plattformen zu investieren – solche, die Offenheit und andere demokratische Werte respektieren.
Offenheit und Matthäus-Effekte
Die Konzentration von Macht in den Händen einer kleinen Anzahl von Informationsvermittlern negiert eine der Kernannahmen der Open-Bewegung. Informationsressourcen zu öffnen bedeutet, sie den Machtstrukturen auszusetzen, die das vernetzte Informationsökosystem beherrschen. Da dieses Ökosystem von monopolistischen Intermediären dominiert wird, ist es notwendig, die Annahme zu überprüfen, dass die Öffnung von Ressourcen überwiegend emanzipatorische und ermächtigende Folgen hat.
Anders ausgedrückt: Unter den Bedingungen eines Informationsökosystems, das von wenigen Plattformen dominiert wird, tragen offene Ressourcen am ehesten zur Macht derjenigen bei, die über die besten Mittel verfügen, sie zu nutzen. In fast allen Anwendungsbereichen wurde Open genutzt, um die Macht von Verlagen und Gatekeepern der Unterhaltungsindustrie herauszufordern. An dem Punkt, an dem die Macht dieser alten Informationsvermittler durch eine neue Generation von plattformbasierten Informationsvermittlern verdrängt wird, stößt der Wert des Open-Ansatzes an seine Grenzen.
Solange Open hauptsächlich als Antwort auf die früheren, auf Exklusivität basierenden Strategien zur Verwaltung des Zugangs zu Informationen definiert wird, berücksichtigt Open nicht die Machtstrukturen, die sich in der massiv vermittelten Informationswirtschaft herausgebildet haben. Praktisch gesehen beseitigt die Öffnung von Informationen, durch die von den Organisationen der Open-Bewegung entwickelten und verfeinerten Instrumente (wie offene Lizenzen und offene Standards) Reibungsverluste im vernetzten Informations-Ökosystem, so dass Informationsressourcen leichter von jedermann für jeden Zweck genutzt werden können.
Als Befürworter der Offenheit haben wir es weitgehend versäumt, die negativen externen Effekte zu berücksichtigen, die mit der freizügigen Freigabe aller Arten von Informationen verbunden sind. Heute trägt diese Situation zu den Machtungleichgewichten bei, die wir beobachten. Während die Open-Bewegung Pionierarbeit bei der Nutzung der vernetzten Informationsumgebung für die gemeinsame Nutzung von Informationsressourcen geleistet hat, ist es ihr (noch) nicht gelungen, ihre normativen Ideale über das Teilen den Sharing-Plattformen aufzudrücken, die derzeit die vernetzte Informationswirtschaft dominieren.
An die Stelle der Konflikte um den Zugang zu und die Kontrolle über Informationsressourcen sind Konflikte um die Privatsphäre, die ökonomische Wertschöpfung, das Aufkommen künstlicher Intelligenz und die destabilisierenden Auswirkungen dominanter Plattformen auf Gesellschaften getreten. Anstelle des Zugangs zu Informationen hat sich im Zeitalter der Plattformen die Kontrolle über persönliche Daten als entscheidende Auseinandersetzung herauskristallisiert. Rund zwei Jahrzehnte nach dem Entstehen der Open-Bewegung stehen deren Kernthemen und die von ihr angestrebten Ziele nicht mehr im Mittelpunkt digitalpolitischer Debatten. Die Aufmerksamkeit hat sich auf andere Schwerpunkte verlagert, zusammen mit den Kämpfen um die Kontrolle über das vernetzte Informationsökosystem. Schlimmer noch, im dominanten Diskurs über Technologie – mit seiner Aufmerksamkeit für Privatsphäre und Datenschutz – wird Offenheit zunehmend als eine negative Eigenschaft von Informationsökosystemen gesehen.
All dies weist auf die gegenwärtigen Grenzen von Openness als normative Grundlage für eine Bewegung hin, die sozialen Fortschritt anstrebt. Während Openness als strategischer und narrativer Ansatz in bestimmten Anwendungsbereichen funktioniert, bietet es keine allgemeinere Vision einer gerechteren und egalitären digitalen Gesellschaft mehr. Gleichzeitig spiegeln die auf geistigem Eigentum basierenden Strategien der Plattformen die Strategien der vorherigen Generation von Informationsvermittlern wider – als Reaktion, auf die die Open-Bewegung entstanden ist.
Ambivalenz von Offenheit
Heute ist Openness sowohl eine Herausforderung für als auch ein Ermöglicher von Machtkonzentrationen. Die Ideen des offenen Zugangs und der freien Wiederverwendung von Informationsgütern gehören nach wie vor zu den stärksten Herausforderungen an die exklusive Kontrolle von Konzernen und Staaten über Informationsgüter. Doch solche Ressourcen offen zu machen, setzt sie auch den Ungleichgewichten der Macht aus, die diese Gesellschaften prägen – und dient im schlimmsten Fall dazu, diese Ungleichgewichte zu verstärken. Offenheit allein bietet nur wenig Schutz vor potenziellen Missbrauch solcher Macht. Die Werkzeuge, die sich auf die Generierung von Mehrwert konzentrieren, versäumen es, mögliche Verluste und Schäden, die sich aus einer solchen Nutzung ergeben, zu berücksichtigen.
Der tief verwurzelte Fokus auf die Bekämpfung bestehender Praktiken der exklusiven Kontrolle von Informationsressourcen hat uns blind gemacht für das Aufkommen von Plattform-Intermediären und für die Risiken, die sie für das vernetzte Informationsökosystem darstellen. Diese neuen Plattform-Intermediäre wurden hauptsächlich als Verbündete im Kampf gegen die früheren, geschlossenen Informationsintermediäre gesehen. Wir müssen anerkennen, dass die Landschaft heute viel komplizierter ist. Die Tatsache, dass vermeintliche Verbündete ihre Plattformen aufbauen, ohne sich die Regeln und Prinzipien der Open-Bewegung zu eigen zu machen, hat nie ausreichend Reibung erzeugt, um die Open-Bewegung dazu zu bringen, ihre Handlungstheorie zu überdenken.
Infolgedessen hat sich die Logik “der Feind meines Feindes ist mein Freund” weitgehend durchgesetzt. Eine Generation von Aktivisten, für die der entscheidende Moment ihrer Karriere die Opposition der traditionellen Informationsvermittler gegen die aufkommende Realität der vernetzten Informationsökonomie der frühen 2000er Jahre war, hat es nicht geschafft, mit dieser zunehmend veralteten, antagonistischen Sichtweise zu brechen und stattdessen eine eher systemische Perspektive einzunehmen.
Dennoch ist die Open-Bewegung eine der wenigen organisierten Bewegungen mit der Fähigkeit und Philosophie, in politischen Diskussionen über den öffentlichen Zugang zu und die Verfügbarkeit von Informationsressourcen zu agieren. Als solche stellt sie eine strategische Herausforderung für die Konzentration von (digitaler) Macht durch Informationsvermittler dar, was diese Art der Lobbyarbeit so relevant wie eh und je macht. Ideen über Offenheit und digitale Gemeingüter bieten auch positive Visionen für die zukünftige Entwicklung von Technologien. Diese Visionen werden dringend benötigt und fehlen oft in der Interessenvertretung, die sich ausschließlich auf die Reduzierung technologischer Schäden konzentriert.
Offene Datenplattformen sollen demokratische Prozesse fördern, doch aktuelle empirische Untersuchungen zeigen, dass sie dies bisher nicht getan haben. Wir argumentieren, dass die derzeitigen offenen Datenplattformen die Komplexität demokratischer Prozesse nicht berücksichtigen, was zu allzu vereinfachten Ansätzen für das Design offener Datenplattformen führt. Demokratische Prozesse sind vielfältig, und offene Daten können für verschiedene Zwecke verwendet werden, mit unterschiedlichen Rollen, Regeln und Instrumenten von Bürgern und öffentlichen Verwaltungen. Jede Art von demokratischem Prozess erfordert einen anderen Ansatz und ein offenes Datendesign. Kontextsensitives, offenes Datendesign erleichtert dagegen die Transformation von Rohdaten in aussagekräftige Informationen, die gemeinsam von öffentlichen Verwaltungen und Bürgern erstellt werden.
Auf dem Weg zu einem anderen Verständnis von Offenheit
Um Openness als strategisches Konzept zu erhalten, das zum Aufbau einer gerechteren und egalitären digitalen Gesellschaft beiträgt, wird die Open-Bewegung darüber nachdenken müssen, wie sie ihre Kernkonzepte gegen Missbrauch und unbeabsichtigte externe Effekte abhärten kann. Ebenso wird sie auch über das Kernanliegen der Öffnung von Informationsressourcen hinausschauen und ein besseres Verständnis dafür entwickeln müssen, wie Openness mit anderen Anliegen wie Datenschutz, Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zusammenhängt.
Wir sollten anerkennen, dass die Open-Bewegung zwar wertvolle Arbeit leistet, aber auch ihre Annahmen überdenken und ihre Strategien an die heutige komplexe Landschaft anpassen muss, um weiterhin relevant zu bleiben und eine gerechte und egalitäre digitale Gesellschaft zu fördern.