Das Paradoxe an der Zeit ist, dass man die Zeit in der Zeit zu denken versucht. Wir können die Zeit nicht außerhalb der Zeit betrachten. Man ist Subjekt und Objekt des zu erfassenden Gegenstandes. Unser Gedächtnis ist nicht linear: es legt unsere Wahrnehmung nicht in einem chronologisch sortierten Filmarchiv ab. Wir bewegen uns, obwohl es eine physisch messbare Gleichzeitigkeit von Zeit mithilfe der Zeitmessung erfunden wurde, auf zahlreichen Zeitachsen. Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Zeitflüsse ist nur lokal vorstellbar. Global überschreitet sie unser Vorstellungsvermögen. Da liegt es nahe, diese Zeitachsen mit anderen Menschen auf unterschiedlicher Weise anzugleichen und zu synchronisieren. Medien spielen darin die entscheidende Rolle.
Die Betrachtung der Zeit ist an ein Medium gebunden. Meist beschäftigt man sich nicht mit der Zeit selbst, sondern mit ihren Spuren. Texte, Bilder und Videos, die wir auf Festplatten oder im Netz speichern, sind Versuche, Zeitspannen oder Zeitpunkte fragmentarisch festzuhalten, um sie nach Belieben wieder abzurufen.
Zwar mögen auch gewünschte „zeitlose“ Inhalte (Klassiker) darunter fallen, also Inhalte von denen angenommen wird, sich einem geschichtlichen Zerfallsdatum entziehen zu können. Die subjektiv interessanteren Werke jedoch, lassen sich nie außerhalb eines geschichtlichen Kontextes denken. In dem Moment,in dem wir beispielsweise ein Foto betrachten, versuchen wir auf eben diese vergangenen Zeitpunkte zurückzugreifen. Gegenwärtig wird eine derart große Menge an Text, Bildern, Videos und Audiodaten gespeichert und konsumiert, wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Im gleichen Moment wo wir ein Medium konsumieren, erwecken wir ein totes Archiv zum Leben und verpassen gleichzeitig den Akt der Gegenwart. Da es heute zunehmend billiger ist, Daten zu speichern, als zu überlegen, ob sie gelöscht oder aufbewahrt werden sollten, werden so gut wie keine Daten absichtlich gelöscht. Ein Ende dieses Wachstums ist nicht in Sicht. Die Option auf den Abruf scheint zu verlockend.
Durch die technischen Möglichkeiten sind wir in der Lage, uns an Vergangenem zu erfreuen: z.B. an Bildern von Reisen oder guten Freunden. Sie erlauben uns, uns mit der Vergangenheit kurzzuschließen. Dabei ist es typisch für die Darstellungsform jedes Mediums, dass es uns weite Teile einer sinnumfassenden Erfahrung vorenthält. Nicht greifbar und doch ist das der offensichtliche Ablauf der Zeit. Der unwiederbringlich verlorene Augenblick beschäftigt sowohl die Kunst als auch die Mathematik. Beide verstehen die Zeit als etwas Unumkehrbares.
Daten=Erinnerung?
Der Wunsch die Zeit festhalten zu können, ist keine neue Erscheinung. Der Versuch, die Zeit medial festzuhalten ist so alt wie die Malerei selbst. Allen gespeicherten Informationen ist eines gemeinsam: sie beinhalten die Absicht der Option eines Abrufs. Der Vorgang des Speichern bedeutet im Grunde den Versuch des Einfrierens eines bestimmten Zustandes eines Fragmentes der Welt und der zeitlich unabhängigen Wiederaufnahme dieses Zustandes. Dieses digitales Gedächtnis ist kein Archiv der Erinnerungen. Das digitales Gedächtnis ist eine zahlenmäßige Akkumulation und keine Erinnerungsspeicher. Es gibt im digitalen Raum nur kumulativen Schichten von Geschichten. Die technische perfekten Kopien dieser Gedächtnisfragmente führen uns in die Irre. Sie sind zwar in ihrer technischen Form konsistent, aber wir Menschen sind es nicht. Das Bild was ich gestern von mir sah ist nicht das gleiche wie gestern obwohl sich nichts an ihm geändert hat.
Ein Gigabyte an Zeit
Die Geschichte ist eine Narration und keine Addition – ein Kontext von menschlichen Zuweisungen von Bedeutungen und keine Summe von Daten. Eine unschätzbar wertvolle Sammlung von Ankerplätzen von Bedeutungen. Die Konstruktion dieses Schiffes aus Gedankenfragmenten und deren Bedeutungszuweisungen unterliegt dem Individuum. in dieser Metapher zu bleiben, segelt genau jenes (ewig gleiche) Schiff auf dem sich ständig wandelnden Meer von persönlichen und sozialen Bedeutungszuweisungen. Die Archivierung dieser Erinnerungen sind Anknüpfungspunkte und Träger von Codes, nicht wie immer wieder fälschlicherweise angenommen wird, die Erinnerungsspeicher selbst. Betrachte ich ein Foto, dessen Motiv eine Situation aus dem Kongokrieg darstellt, rekurriert dies auf mein gegenwärtiges Dasein.
Nicht in dem Ausmaß der Bedeutung wie das Bild besaß als es ausgelöst wurde, aber soweit als dass der Moment in unvorhersehbarer Form wieder Einfluss auf das aktuelle Geschehen oder mindestens meinen Gemütszustand hat. Überspitzt ausgedrückt eine Zeitmaschine von Gefühlen mit chaotischen Ausgang.