Total Postdigital?

Postdigitalität beschreibt eine bewusste Entscheidung, moderne Technologien zu umgehen und ältere, oft analoge, Alternativen zu nutzen. Dies ist nicht als Rückschritt zu verstehen, sondern als kritische Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen digitalen Technologie. Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung von Schreibmaschinen anstelle von Laptops, was nicht nur als nostalgisch, sondern als Ausdruck einer bewussten technologischen Abstinenz interpretiert wird. Weitere Beispiele für postdigitale Kultur sind das Revival von Vinyl-Schallplatten, Audiokassetten, analoger Fotografie und traditionellen Drucktechniken. Diese analogen Medien, obwohl technisch überholt, werden wegen ihres nostalgischen Wertes und ihrer kulturellen Bedeutung wieder geschätzt.

Der Begriff “Postdigital” wurde ursprünglich als kritische Reflexion auf die Ästhetik des digitalen Immaterialismus verwendet. Heute beschreibt er den Zustand in Kunst und Medien nach der digitalen Revolution, in dem die Grenzen zwischen “alten” und “neuen” Medien verschwimmen. Postdigitalität bedeutet, dass sowohl alte als auch neue Technologien experimentell genutzt und kombiniert werden, ohne eine der beiden Seiten ideologisch zu bevorzugen. Es geht weniger um konzeptionelle Strukturen und mehr um experimentelle Ansätze, oft beeinflusst durch die Netzwerkkultur.

Die Do-It-Yourself (DIY)-Bewegung hat ebenfalls erheblichen Einfluss auf die postdigitale Kultur. Der Begriff “Postdigital” steht im Gegensatz zu einer totalitären Innovationsideologie und dem hochvernetzten Big Data-Kapitalismus. In dem sogenannten “semantischen Kapitalismus” oder “semantic web” haben komplexe und zunehmend totalitäre Infrastrukturen die Grenzen zwischen virtuellen Welten und Alltagskultur aufgelöst. Auf den ersten Blick scheint der Begriff “Postdigital” daher unpolitisch und unkritisch gegenüber dem aktuellen Zustand der Welt zu sein. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Trennung zwischen Big Data und neo-analoger DIY-Kultur nicht so klar ist, wie es zunächst scheint. Dieser kritische Punkt erweitert die Bedeutung des Begriffs “Postdigital”.

Wie kann ich mir Postdigitalität vorstellen?

Der Begriff „Postdigital“ stammt nicht aus der Medienwissenschaft, sondern aus künstlerischen Praktiken. Er bezieht sich auf etablierte Vorstellungen des Digitalen, die oft mit hochmoderner Technologie, Immaterialität, Klarheit und virtuellem Raum assoziiert werden. Das Postdigitale kritisiert diese Vorstellungen. Frühe Theorien des Postdigitalen widersetzten sich dem Bild technologischer Überlegenheit und Innovation, das dem Digitalen anhaftete. Gleichzeitig wurde in der Medienproduktion alles als „postdigital“ bezeichnet, das veraltete Effekte aus materiellen Medien nutzte, auch wenn diese Effekte ursprünglich digital waren.

Diese Entwicklung führte zu verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „Postdigital“. In diesem Kontext wird der Begriff kritisch gegenüber einer Mainstream-Kultur verwendet, in der alltägliche Dinge neu verpackt und als „digital“ vermarktet werden, um den Konsumenten ein hochwertigeres Produkt vorzugaukeln.

Postdigital als Zustandsbeschreibung

Ein anschauliches Beispiel für das Postdigitale zeigt sich in der Kunst. Durch digitale Netzwerktechnologien hat sich die Kunst verändert, ohne dass sie selbst digital geworden ist. Künstler der postrelationalen Ästhetik nutzen digitale Medieninfrastrukturen für ihre Kunstkritik und Produktion. „Alte Medien“ haben sich zu postdigitalen Medien gewandelt, die nun ästhetisch-experimentell statt rein informativ sind.

Der Begriff „Postdigital“ beschreibt einen Zustand, in dem die Veränderungen der Alltagskultur durch digitale Informationstechnologie sichtbar und etabliert sind. In diesem Sinne ist der Begriff komplementär zu „neue Medien“ und reflektiert die historische Ideologie der neuen Medien. Wenn der Begriff „Postdigital“ kritische Fragen zu den ideologischen Erzählungen aufwirft, reflektiert er auch die unkritische Nutzung des Begriffs „neue Medien“ und dessen eigene historische Semantik.

Die Unterscheidung zwischen „alten“ und „neuen“ Medien ist sowohl in der Theorie als auch in der Kunstpraxis obsolet. Postdigitale Künstler verwenden ihre Medien für eine eigene Materialästhetik, unabhängig davon, ob sie analog oder digital sind. Diese künstlerische Forschung erfasst Medien durch ihre Dysfunktionalität. Wenn Systeme zerlegt und entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung verwendet werden, entsteht eine Abgrenzung zu den inhaltslosen Neuverpackungen der analogen Medienästhetik im Mainstream.

DIY-Kultur und Postdigitalität

Die Kultur des Mainstreams, die digitale Mediennetzwerke integriert, wird schließlich in der Produktion von analogen und postdigitalen Medienobjekten angewendet. Diese ähneln alten Medienpraktiken, nutzen aber prozessuale und interaktive Möglichkeiten. Praktiken der „neuen Medien“ werden auf „alte Medien“ übertragen. Dabei ist die DIY-Mentalität entscheidend, die sich gegen kommerziell verpackte Produkte richtet. Diese neue, materialistisch orientierte „Macher“-Kultur spiegelt sowohl digitale als auch analoge Vorgehensweisen wider und betont ihre kommerziellen Dimensionen.

Kommerzialisierung der neuen Medien

Gleichzeitig sind etablierte „neue Medien“ nicht mehr DIY, da der „semantische Kapitalismus“ von großen Marktführern dominiert wird. Mit dem Fokus auf DIY und Produktion gibt es auch eine Verschiebung vom Konzeptionellen hin zum „Roh-Materialismus“ und vom Semantischen hin zum Experimentellen.

Wenn das Postdigitale digital ist und umgekehrt

Der Begriff „digital“ wird in der Medienkunst und -forschung oft missverständlich verwendet. Begriffe wie „digitale Kunst“, „digitale Medien“ und „digitale Medienforschung“ sind verbreitet, aber nicht immer korrekt. „Digital“ bedeutet, dass etwas aus mehreren Zuständen oder Einheiten besteht, während „analog“ sich auf kontinuierliche, chaotische Strömungen und Materialien bezieht, bei denen Unterscheidungen künstlich angewendet werden. „Digital“ existiert objektiv nicht in der realen Welt, sondern nur als Ergebnis von Auswertungen. Technologisch betrachtet, sind alle Medien „analog“. Es gibt keine digitalen Medien, sondern nur digitale oder digitalisierte Informationen.

Kunstwerke, die als „digitale Kunst“ gelten, aber keine Elektronik nutzen, werden in der Medienkunst oft als „postdigital“ oder „analog“ bezeichnet. Im Mainstream wird fälschlicherweise alles als „digital“ bezeichnet, was irgendwie mit digitaler Informationsverarbeitung verbunden ist. „Postdigitale Kunst“ wird oft verwendet, um die fehlende kritische Reflexion darüber, was digital ist und was nicht, auszugleichen.

Wiederbelebung der alten Medien

Nach den Snowden-Enthüllungen scheint der digitale Entzug eine verlockende Option zu sein, obwohl auch Briefpost von Geheimdiensten abgefangen werden kann. Dieser Rückzug aus der technisierten Welt ähnelt der handgefertigten Produktion als Mittel des Widerstands gegen die Industrialisierung. Dies erklärt die Renaissance von Kunstdruck, selbstgemachten Filmlaboren, limitierten Vinyl-Editionen, Audiokassetten, mechanischen Schreibmaschinen sowie analogen Kameras und Synthesizern.

Viele zeitgenössische Künstler bevorzugen die Arbeit mit nicht-elektronischen Medien. Wenn sie die Wahl haben, entscheiden sich viele lieber für das Entwerfen eines Posters als für das Erstellen einer Website. In den Niederlanden haben Kunsthochschulen die digitalen Kommunikationsdesign-Programme fast vollständig an Fachhochschulen abgegeben. Digitale Medien werden von Kunststudenten oft als Mainstream betrachtet und abgelehnt. Ist dies eine moderne Form des Luddismus?

Bei genauer Betrachtung ist die Dichotomie zwischen digitalen Big Data und Neo-Analog nicht so eindeutig. Das Postdigitale ist mehr als nur eine Beschreibung eines nostalgischen kulturellen Trends. Tatsächlich leben wir nicht in einem postdigitalen Zeitalter – weder technologisch noch in Bezug auf die Digitalisierung und Computerisierung.

Eine pragmatische Definition des Postdigitalen

Der Begriff „Postdigital“ kann sinnvoller definiert werden. Die Vorsilbe „post“ sollte nicht im Sinne der Postmoderne verstanden werden, sondern wie bei „Post-Punk“ (eine Fortsetzung der Punk-Kultur) oder „Postkommunismus“ (die gesellschaftspolitische Realität in ehemaligen Ostblockstaaten). Auch „Postfeminismus“ (eine kritisch überarbeitete Fortsetzung des Feminismus) und „Postkolonialismus“ (neue Machtstrukturen nach dem Kolonialismus) sind Beispiele.

Diese Begriffe beschreiben keine lineare kulturelle Entwicklung, sondern subtile kulturelle Veränderungen und laufende Mutationen. Postkolonialismus bedeutet nicht das Ende des Kolonialismus, sondern eine Mutation neuer Machtstrukturen. Diese haben tiefgreifende und nachhaltige Auswirkungen auf Sprachen, Kulturen und Geopolitik.

Gemeinsamkeiten von Postdigital und Postapokalypse

Das postdigitale Zeitalter und der postapokalyptische Zustand haben eine Gemeinsamkeit: Nach dem Umbruch durch die Computerisierung und globale digitale Vernetzung hat sich die Welt tiefgreifend verändert. Technische Infrastrukturen, Märkte und Geopolitik sind stark beeinflusst. Der Zustand nach diesem ersten Umbruch ist das, was wir als postdigital bezeichnen können.

Steriler, blauer High-Tech

Der Begriff „Digital“ im Kontext des „Postdigitalen“ sollte nicht im medientheoretischen oder technisch-wissenschaftlichen Sinne verstanden werden, sondern als ein Begriff der Popkultur. Eine Google-Bildersuche nach „digital“ zeigt vor allem Bilder in blauen Tönen. Blau ist die kühlste Farbe des Spektrums und steht für Abwesenheit von menschlicher Wärme und sterile Sauberkeit. Das Postdigitale stellt dieser Ästhetik etwas anderes entgegen.

In der Musiktechnik bedeutet technischer Fortschritt oft eine höhere Wiedergabetreue, ähnlich wie bei der visuellen Übertragung von Videos. Das Ziel ist eine möglichst realitätstreue Wiedergabe, sei es von Vinyl zu CD, von DVD zu Blu-Ray oder von 2D zu 3D. Alles Digitale wird als überlegen angesehen. Paradoxerweise wird auch der „Glitch“ (ein Effekt, der die Qualität absichtlich beeinträchtigt) als überlegen betrachtet, obwohl er ein Produkt digitaler Verarbeitung ist.

Eine postdigitale Ablehnung von High-Tech zeigt sich in vielen Bereichen: Vinyl klingt besser als CD, analoge Fotografie sieht besser aus als digitale und mechanisch getippte Texte haben mehr Wert als digitale Dateien.

Was heißt eigentlich digital?

Technisch gesehen ist die Verwendung des Begriffs „digital“ oft ungenau. Dies gilt auch für Begriffe wie „digitale Kunst“, „digitale Medien“ und „Digital Humanities“. Etwas kann digital sein, ohne Elektronik oder binäre Nullen und Einsen zu nutzen. „Digital“ bedeutet, dass etwas in diskrete, zählbare Einheiten unterteilt ist, wie z.B. Buchstaben oder die Tasten eines Klaviers.

Das lateinische Alphabet, die beweglichen Lettern von Gutenbergs Druckerpresse und die Tasten eines Klaviers sind Beispiele für digitale Systeme. Digitale Informationen sind idealisierte Abstraktionen der Realität, die ihre materielle Natur und chaotische Eigenschaften berücksichtigen.

Was heißt eigentlich analog?

„Analog“ bedeutet, dass Informationen nicht in diskrete Einheiten zerlegt sind, sondern aus kontinuierlichen Signalen bestehen, wie Schallwellen oder Lichtwellen. Analog kann als „undifferenziert in den Extremen“ und als Gegenteil eines Notationssystems definiert werden.

Das Griffbrett einer Geige ist analog, da es keine Bünde hat und kontinuierlich ist. Das Griffbrett einer Gitarre ist digital, da es Bünde hat, die die Noten trennen. Die Struktur eines Analogsignals entspricht physikalischen Phänomenen, die es imitiert. Bei einer Fotoemulsion entsprechen die Teilchen der Verteilung von Lichtstrahlen und erzeugen so ein Bild. Auf einem Tonband entsprechen die Schwankungen der Magnetisierung den Schwankungen einer Schallwelle.

Digitale Alleskönner

Verfechter postdigitaler Ansichten lehnen Digitaltechnik entweder als sterilen High-Tech-Schrott oder als Low-Fi-Müll ab. Die Idee der digitalen Verarbeitung als universelle Allzwecklösung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Für sie ist der Computer eine Art Alleskönner. Der Begriff „Postdigital“ beschreibt in einfacher Form die chaotischen Zustände der Medien, Kunst und des Designs nach der Digitalisierung. Die digitale Natur der Kommunikationskanäle spielt dabei eine zentrale Rolle. Gefühle wie Enttäuschung oder Skepsis können ebenfalls eine Rolle spielen. Viele zeitgenössische bildende Künstler akzeptieren nur langsam Werke der Netzkunst von zeitgenössischen Künstlern als gleichwertig.

Postdigital als Hybrid von alten und neuen Medien

„Postdigital“ bezieht sich auf einen Zustand, in dem die Umwälzung durch digitale Informationstechnologie bereits stattgefunden hat. Dies kann bedeuten, dass diese Technologie nicht mehr als störend wahrgenommen wird. Folglich steht „Postdigital“ oft im Widerspruch zu den Begriffen „Neue Medien“ oder „Social Media“. Es beschreibt eine Perspektive auf digitale Informationstechnologie, die sich nicht mehr auf technische Innovation oder Optimierung konzentriert, sondern auf die Nutzung von Techniken aus verschiedenen oder „veralteten“ technikgeschichtlichen Entwicklungsstufen. Das Postdigitale löst die Unterscheidung zwischen „alten“ und „neuen“ Medien in Theorie und Praxis auf. Junge Kreative verwenden sowohl Ölfarben in Photoshop als auch Flohmärkte für Vinyl und hören Musik mit künstlich hinzugefügtem Vinyl-Knistern auf ihren iPods.

Junge Künstler und Designer wählen Medien für ihre eigenen ästhetischen Werke aus, unabhängig davon, ob sie analoge oder digitale Materialien verwenden. Lo-Fi-Unvollkommenheiten werden gefeiert – der digitale Glitch zusammen mit Staub, Kratzern und dem Rauschen analoger Bandaufnahmen. Diese Praktiken untersuchen und nutzen Materialien auf ihre Unzulänglichkeiten und Fehlfunktionen hin. Es entwickelt sich eine postdigitale Hacker-Mentalität, die darauf abzielt, die ursprüngliche Intention des Designs zu untergraben.

Alles Retro?

Es gibt ohne Zweifel große Überschneidungen zwischen postdigitaler Druckgrafik, Audiokassettenproduktion, der mechanischen Schreibmaschine und dem Vinyl-auflegenden DJ sowie verschiedenen Retro-Trends. Diese Trends umfassen auch die digitale Simulation analoger Lo-Fi-Effekte in populären Smartphone-Apps wie Instagram und Hipstamatic. Dennoch besteht ein qualitativer Unterschied zwischen oberflächlichen, vorgefertigten Effekten und gründlich reflektierter Arbeit mit Vintage-Medien, die durch den Wunsch nach einer nicht-formellen Ästhetik getrieben wird.

Diese Praktiken können als kreativ bezeichnet werden, da das „Postdigitale“ nicht nur zur Wiederbelebung älterer Medientechnologien beiträgt, sondern diese vielmehr umfunktioniert. Beispiele sind Zines als Anti-Blogs, Vinyl als Anti-CD, Kassettenbänder als Anti-MP3 und analoger Film als Anti-Video.

Es gibt keine digitale Ästhetik oder digitale Medien

Technisch gesehen sind Medien in Bezug auf Speicherung, Übertragung, Berechnung und Anzeige immer analog. Der Strom in einem Computerchip ist analog, ebenso wie die Spannung, die variable und undifferenzierte Werte innerhalb eines bestimmten Bereichs annimmt. Nur durch Filterung können diese Spannungen als „Null“ oder „Eins“ interpretiert werden. Hardware-Defekte können dazu führen, dass Bits kippen, wodurch Nullen zu Einsen werden und umgekehrt. Auch die von einer Soundkarte und einem Lautsprecher erzeugten Schallwellen sind analog.

Ein LCD-Bildschirm ist ein hybrides Digital-Analog-System: Die Anzeige besteht aus diskreten Pixeln, aber das von diesen Pixeln emittierte Licht ist analog. Es gibt also keine digitalen Medien, sondern nur digitale oder digitalisierte Informationen: diskrete Zahlen, Buchstaben, Symbole und andere abstrahierte Einheiten im Gegensatz zu kontinuierlichen, wellenartigen Signalen wie Klang und Licht. Elektrogeräte, die oft als digitale Medien bezeichnet werden, sind in Wirklichkeit Analog-Digital-Analog-Wandler. Ein MP3-Player mit Touchscreen nimmt beispielsweise eine analoge, nicht-diskrete Geste auf, übersetzt sie in binäre Steuerbefehle, die wiederum eine digitale Datei verarbeiten und diese schließlich in ein analoges elektrisches Signal decodieren, das von einem Lautsprecher in Schallwellen umgewandelt wird.

Das gleiche Prinzip gilt für fast alle sogenannten digitalen Mediengeräte, von Kameras bis zu unbemannten Drohnen. Unsere Sinne können Informationen nur als nicht-diskrete Signale wie Schall oder Licht wahrnehmen. Daher ist alles Ästhetische, also die Wahrnehmung, streng technisch gesehen analog.

Ein Kunstwerk, das auf der rein technischen Definition von „digital“ basiert, würde eher als „postdigital“ oder sogar „retro-analog“ bezeichnet werden. Der alltägliche Begriff „digital“ umfasst die Fiktion der körperlosen digitalen Informationsverarbeitung. Umgangssprachlich wird „digital“ oft metonymisch verwendet, sodass alles, was mit der Berechnung durch elektronische Geräte verbunden ist, als „digital“ bezeichnet wird, sogar ein Kamerastativ. Diese Vorstellung, die vor allem durch das Marketing geprägt wurde, wurde von den „Digital Humanities“ weitgehend übernommen.

Fiktionen der Macht

Postdigitale Subkulturen, egal ob in Detroit, Rotterdam oder anderswo, unterscheiden sich auf einer grundlegenden Ebene nicht von den Utopien des Silicon Valley. Ein wichtiger Grund, warum Kunststudenten das Gestalten von Plakaten der Gestaltung von Websites vorziehen, ist die Illusion von mehr Macht oder Kontrolle über das Medium. Ebenso werden „digitale“ Kulturen durch ähnliche Illusionen des freien Willens und individuellen Empowerments angetrieben. Die Quantified-Self-Bewegung beruht beispielsweise auf der Fiktion der Kontrolle über den eigenen Körper. Das gesamte Konzept des DIY, ob digital, nicht-digital oder postdigital, basiert auf der Fiktion der Beherrschung und Kontrolle der Technik.

Diese Fiktionen beziehen sich auf die techno-politischen und wirtschaftlichen Realitäten unserer Zeit: entweder eine Überidentifikation mit diesen Systemen oder eine kategorische Ablehnung dieser. Jedes dieser Extreme ist symptomatisch für eine Krise der Systeme – keine Krise eines bestimmten Systems, sondern eine Krise des Paradigmas „System“. Der Begriff „Post-Snowden“ beschreibt nur einen Aspekt eines größeren Bildes: eine Krise des kybernetischen Begriffs „System“, die weder „digital“ noch „postdigital“ ist, noch angemessen beschrieben werden kann.

Entzauberung des Postdigitalen

Im Zeitalter allgegenwärtiger mobiler Computer, Drohnenkriege und gigantischer Datensammlungen durch NSA, Google und andere Internet-Giganten, ist der Begriff des Postdigitalen noch fragwürdiger geworden. Er kann entweder als Zeichen von Unwissenheit über die gegenwärtigen Machtverhältnisse und Praktiken oder als Rückzug aus der Realität verstanden werden. Alternativ kann der Begriff Postdigital verwendet werden, um eine zeitgenössische Enttäuschung über digitale Informationssysteme und Medien-Gadgets zu beschreiben oder die Faszination für historisch „überwundene“ Technik auszudrücken.

Postdigitale Entwicklungen

Postdigitale Ästhetik, die sowohl digitale als auch nicht-digitale DIY-Praktiken in einer von Big Data beherrschten Medienwelt umfasst, kann als Kritik am „semantischen Kapitalismus“ und seiner Innovationsideologie gesehen werden. Sowohl das Postdigitale als auch das Techno-Kapitalistische werden von ähnlichen Versprechen angetrieben: dem Versprechen der Kontrolle über die Gesellschaft mithilfe von Big Data und dem Versprechen der Beteiligung an der DIY-Kultur. Beide sind bedenkliche Reflexionen der Systemkomplexität. Postdigital bezeichnet die Omnipräsenz des Digitalen und nicht sein Verschwinden. Diese Omnipräsenz ist sowohl beängstigend als auch faszinierend.

 

Damian Paderta
Damian Paderta
Webgeograph & Digitalberater