
Buttons gehören geklickt – Textfelder gehören beschrieben. Die Interaktion mit diesen grundlegenen Elementen des Web sind so alltäglich, wie unsere Interaktionen auf Social Media-Plattformen. Soziale Medien sind schon länger im Mainstream gelandet. Soweit – so trivial. Und weil es trivial scheint und es für viele zur Routine gehört, lohnt eine Reflexion dieser Praxis. Dazu möchte ich ein paar Gedanken aus meinem Blickwinkel zu diesen Themen ausführen, welche mehr Fragen aufwerfen als Antworten liefern.
Die Entwicklungen im Web habe ich seit 1998 rein sukzessiv erfahren. Vielleicht auch deshalb, weil mich Hypes tendenziell eher abschrecken als anziehen und ich nicht in jeder neuen Entwicklung den digitalen Heiland vom Berg steigen sehe. Echte Early Adopter haben eine andere mentale Disposition. 2007 entschied ich mich aus myspace und StudiVZ zurückzuziehen, da mich die damit einhergehende soziale Kontrolle nervte und die überbordend praktizierte Selbstdarstellung langweilte. Zu meiner Privatsphäre gehörte es, meine Kommunikationspartner und -inhalte nur den engsten Vertrauten vollständig preiszugeben. Mir fällt es wahrscheinlich leichter, nackt durch eine Fußgängerzone der Innenstadt zu laufen, als mein Netzwerk und meine Aktivitäten komplett offen zu legen.
Über die Jahre steigerten sich meine Aktivitäten in den Sozialen Medien allmählich wieder. Aus beruflichen Gründen, aber auch weil es unmöglich schien, internationalen Bekanntschaften und Freundschaften aufrecht zu erhalten. Die klassische E-Mail war und ist für zahlreiche Menschen nicht das Kommunikationsmedium Nr. 1. Nun komme ich an einen ähnlichen Punkt wie vor neun Jahren, der in der alles entscheidenden Fragen mündete: Warum posten? Warum sollte ich aktiv werden? Posten, liken, tweeten? Spätestens dann, wenn diese Fragen nicht gestellt werden, weil die jegliche soziale Praxis im Netz an ein Account eines datenhungrigen, kapitalistischen Dienst gebunden ist, wird Reflektion zum Reflex. Was mache ich da eigentlich, warum und für was?
Hammer, Nagel, Tisch
Stelle Dir vor: Du gehst in einen Raum. In dem Raum ist ein Tisch. In der Mitte des Tisches befindet sich ein Nagel, der bereits zur Hälfte versenkt wurde. Daneben liegt ein Hammer. Was tust Du? Ich vermute der naheliegende Gedanke ist den Nagel mithilfe des Hammers in den Tisch zu hauen. Dabei gibt es trotz weniger Elemente viele Interaktionsmöglichkeiten: a) Du ziehst den Nagel aus dem Tisch b) Du drehst den Tisch und schlägst den Nagel mit dem Tisch noch tiefer ins Holz b) Du haust die Tischbeine ab und balancierst den Hammer auf dem Nagel d) Du setzt Dich wie ein Fakir auf den Nagel e) Du machst nichts f) Du beobachtest ob der Nagel nicht von alleine ins Holz dringt und zählst die Stunden.
Was soll diese Vorstellung? Sie soll verdeutlichen, dass wir uns oft in Umgebungen wie z.B. dem Web bewegen, die uns dazu verleiten, scheinbar sinnvolle oder zumindest plausible Interaktionen auszuführen. Weil wir es gewohnt sind, Nägel mit dem Hammer tiefer in das Holz zu rammen, stellen wir diese Annahme auch in solchen Situationen, die uns nichts über die Sinnhaftigkeit eben dieser Interaktionsform preisgeben. Die Situation scheint uns klar und das Problem so vertraut, dass wir nur diese eine Möglichkeit sehen wollen. „Weil man so macht“ oder „weil man es schon immer gemacht hat“. Datensammeldiensten ist diese Sinnfrage unwichtig. Die Interaktion schafft Daten über die Nutzer. Daten bringen Geld. Deshalb sollen die Nutzer zur Interaktion animiert werden. Ganz gleich welche Intention der Interaktion zugrunde liegt: das Design soll Interaktion provozieren. „Passivität“ ist nicht monetarisierbar.
Interagieren oder verlieren
Interaktion ist das Zauberwort – aber ist die Interaktion per se ein gewünschter Moment? Jegliche Interaktion ist eine Mikro-Aussage. Ob dies wirklich derart bedeutungsschwanger ist wie oft verlautbart, sei dahingestellt. Es geht darum die Daten nach Tendenzen zu betrachten, heißt es. Das klingt nach Fortschritt und stellt eine andere entscheidende Frage hintenan: Wer sammelt die Daten über was und wen und für wen und was? Da dies nicht wirklich klar ist und sich schneller ändern kann, als es diejenigen erfahren, die interagieren, scheint ebenso gültig zu sein.
Für den Interagierenden macht es natürlich Sinn, dort zu kommunizieren, wo er sich die größte Resonanz verspricht oder zumindest die größte Aufmerksamkeit erwartet. Das Hauptproblem von unzähligen im Schattenreich vegetierenden Social Media Plattformen: fehlende Interaktion und Resonanz. Interaktion ist kein Selbstzweck, sondern wird als solcher in einem datengetriebenen Kapitalismus proklamiert, um aus den Minen der Interaktionsdaten von Menschen Gold zu schöpfen.
Jede Eingabe sagt, wenn auch nur sehr beschränkt, nicht nur etwas über das Objekt der Interaktion sondern auch über den Interagierenden aus. Mit diesen Präferenzen lässt sich auf einer großen Skalenstufe Geld machen. Die Architektur der gewinnorientierten Betreiber richten sich nach eben diesem Interaktionswert, nicht nach Gesichtspunkten eines gesellschaftlichen Konsens. Nicht nur deshalb kann man z.B. bei facebook von einem asozialen Sozialen Netzwerk sprechen. Wer kann sich damit wirklich identifizieren? Wer möchte sich als Laborratte für Unternehmen hergeben? Warum also interagieren?
Kann ich dem Rauschen etwas Sinnvolles hinzufügen?
Kommunikation lebt von Unschärfe. Würden wir jedes Wort was wir von uns geben streng definieren könnten wir a) aufgrund der daraus entstehenden Wortmenge gar nicht kommunizieren b) wäre jede Neuerung des Wortschatzes einmal für immer verlautbarten Definition erstickt. Deshalb ist es nicht zwingend notwendig und sogar schädlich, Eindeutigkeit zu verlangen. Bei zahlreichen Portalen werden einfache Interaktion angeboten, sei es 5-Sterne Bewertungen, Favorizieren oder Likes. Sie reduzieren große Konzepte auf eine einfache, für jeden verständliche und vor allem schnelle Interaktion. Häufig, wie bspl. bei facebook, besteht keine Möglichkeit per Klick Unmut auszudrücken, sondern nur Zuspruch.
Diese Interaktionen erlauben nur bedingt bei den wichtigen und zumeist deshalb eben komplexen Themen, ein einfaches für oder gegen. Like oder eben: nichts. Bei Facebook wird dies durch den likebutton nochmals drastisch eingeschränkt. Das like ist in verschiedenen Kontexten auch ein anderes. Seine Aussage kann vielfältig sein: Zuspruch zur Aussage des Posts, „gut dass du es gepostet hast“ oder “ Ich möchte zu erkennen geben, dass ich Deinen Inhalt gesehen habe“. Einerseits erlaubt uns die Technik einfacher zu interagieren. Die Kehrseite ist, dass wir annehmen, Komplexität in unterkomplexen Umgebungen darstellen zu können und uns damit ein trügerisches Bild von addierten Aussagen über einen vielfältigen Gegenstand ermöglichen, das mindestens fragwürdig, aber vielleicht auch völlig inhaltslos ist.
Was darf ich sagen? Was kann ich erwarten?
Welche Legitimation habe ich in Klein-Oberammerdorf für oder gegen einen Ausbau der Bundestrasse zu diskutieren? Klar ist: die technische Möglichkeit alleine ist sicher keine. Dies gilt ebenso für Online-Petitionen. Aber das ist ein anderes Thema. Legitimiert mich, dass ich in geringer Zeit (Zeit die ich mir nehmen kann und andere für wichtigere Sachen brauchen wie Windelnwechseln, Elternbetreuung oder Bloggen ;-)), die passende Bildung (die mehr als nur das Resultat der eigenen Anstrengungen ist) und das technische Know-How (als Internetheini hat man es leichter)? Negativ ausgedrückt: Jedes Statement stellt ein fehlendes in den Schatten: mein Beitrag schafft den Unterschied zum Nichtbeitrag. Zugegeben ein philosophisches Problem. Entscheidender in meiner Wahl zu interagieren, ist die Frage nach der Wirkung meiner Interaktion.
Gegenwärtig haben wir an der Schnittstelle von Bürgern zu Politik keine Artikulations- oder Informationsproblem, sondern ein Umsetzungs- bzw. Partizipationsproblem. Das vorhandene politische System samt seinen Parteien erscheint im Lichte der Meinungs, Willens- und Gemeinschaftsbildender Praxis im Netz als überholt und ist dabei paradoxerweise weitaus robuster und fester im Sattel, als viele politisch Aktive es sich vorstellen möchten. Skandale werden ausgesessen, Shitstorms überlebt. Das muß nicht immer schlecht sein. Es hält die politisch Verantwortlichen auch davon ab, zum Spielball schnelllebiger Meinungen im Netz zu werden. Gleichzeitig stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob der Einfluß von Sozialen Medien auf die politische Praxis in den letzten Jahren nicht stark überhöht wurde. Ich persönlich hatte höhere Erwartungen daran geknüpft.
Wer seid ihr?
Praktisch stellt sich die Frage nach der tatsächlich fairen Form bzw. des Umgangs in der Kommunikation. Trivial scheint, dass die wenigsten Menschen an einem runden Tisch derart harsch äußern würden, wie wir es wohl alle aus dem Netz kennen. Dabei spielt selbst Anonymität eine untergeordnete Rolle. Es wird gebellt und beleidigt was das Zeug hält. Unterschiedlich stark – in der Tendenz aber ähnlich. Es geht dabei vor allem um asymmetrische Adressierbarkeit von Diskussionsteilnehmern. Ich poste gerne unter meinem vollen Namen bei gleichzeitiger doppelten Verschleierung meiner IP durch zwei VPN Dienste. Die Gründe hierfür habe ich in einem anderen Artikel erzählt. Kurz: ich möchte mit meinem Namen zu gewissen Statements stehen: das betrifft eigentlich alle Äußerungen. Ich weiß aber auch, dass das meine Wahl ist und ich unter anderen Umständen vielleicht anders entscheiden würde. Gleichzeitig weiß ich sehr wohl das bestimmte vor allem politischen Äußerungen nicht zwingend förderlich was Arbeitgeber, Kunden, Vertragspartner etc. angeht seien können.
Es kann sogar sein, dass ich auch auf einer Liste einer staatlichen Stelle landen kann und ich die Macht staatlicher Repressionsorgane zu spüren bekomme. Ich nehme diese Nachteile gerne in Kauf, da keine meiner Äußerungen Beleidigung gegen andere Personen oder gar menschenverachtende Äußerungen beinhalten. Ich finde es richtig und gut, zwischen einer professionellen Aussage und einer privaten zu unterscheiden. Meistens fällt die Erste diplomatischer und differenzierter aus als die Zweite.
Zurück zum Thema. Ich möchte ganz egal ob online oder offline, meine Gesprächspartner identifizieren können. Dies muss keine Bedingung sein. Klar ist jedoch, dass es ein Spiel mit unterschiedlichem Einsatz ist. Im politischen Raum (ich gehe an dieser Stelle von einem demokratischen Rechtsstaat aus), müssen die Teilnehmer adressierbar sein und für ihre Wirkungen einstehen können. Positiv wie negativ. Die fehlende Möglichkeit zur Validierung derer, mit denen ich kommuniziere, bei gleichzeitiger Kenntnisse meiner Person stellt eine Asymmetrie dar. Kontroverse Diskurse im politischen Feld sind dann symmetrisch, wenn entweder alle oder keiner persönlich adressierbar ist bzw. alle anonym. Einen Klarnamenzwang lehne ich dagegen entschieden ab.
Und natürlich gibt es oft genug nachvollziehbaren Gründen für einen Mix aus unterschiedlich starker Adressierbarkeit und Anonymität. Dies soll nicht in Frage gestellt werden. Eher die Frage: Was sollte eigentlich die Standard-Einstellung sein? Anonymität oder Realname? Für mich i.d.R. das Letztere. Die Positionslosigkeit und Opportunität, die ich so manchen Diskussionsteilnehmer attestieren möchte, ist mir ebenso ein Dorn im Auge wie die Veranlagung, zu allem eine Meinung haben zu müssen. Damit komme ich auch zum nächsten Punkt: Diskussionen im Netz.
Warum laufen Diskussion schief?
Erliegen wir nicht einem Mythos wenn wir glauben, eine Diskussion im Netz zu politischen Themen, würde wie ein sportlicher Kampf geführt? Mit klaren Regeln und einem Resultat am Ende, dass entweder einen Kompromiss darstellt oder bei dem das bessere Argument siegt? Es braucht viel Glück um eine ernsthafte und unverkrampfte politische Diskussionauf Facebook zu finden, mit der Bereitschaft, bei besseren Gegenargumenten von seinem Standpunkt auch abzurücken zu wollen. Besonders die auf facebook geführten Diskussionen, wenn man sie überhaupt so nennen kann, scheitern nach meiner Einschätzung. Dort spielt weder die Einhaltung basalster Höflichkeitsformen noch die Überprüfung der Zulässigkeit von Bedürfnissen oder Reziprozität eine Rolle.
Vielmehr werden ohne Rücksicht, Standpunkte und Bemerkungen mit diskreditierenden Tonfall gestreut. Das schreckt besonders diejenigen ab, die sich um die gesellschaftlichen Spielregeln, Etiketten und rücksichtsvollen Umgang bewusst sind und keine Lust auf permanente Krisenkommunikation haben. Ich werde weiterhin meinen Senf in sehr sparsamen Dosen dort hinzugeben, wo gewisse Formen des Umgangs gewahrt werden und eine minimale Verbindlichkeit herrscht, weil man sich identifizieren kann und will. Ohne Socketpuppets, Trolle und Besserwisserei in harschen Tönen. Und weil Bilder manchmal besser sind, folgend eine Grafik, warum Diskussionen im Netz so oft schief laufen: