Smart Citizens or Smart City?

Smart Cities: Zwischen technokratischer Kontrolle und bürgerlicher Emanzipation

Die ambivalente Vision der Smart City

Der Begriff „Smart City“ hat sich zu einem Leitmotiv in der urbanen Entwicklung entwickelt, bleibt jedoch bemerkenswert unscharf definiert. Die „intelligente Stadt“ präsentiert sich vorrangig als effizient, technologisch fortschrittlich, grün und sozial inklusiv. Doch hinter dieser scheinbar neutralen Fassade verbirgt sich ein komplexes Spannungsfeld zwischen technokratischer Steuerung und bürgerlicher Selbstbestimmung.

Die Smart City ist weder ein vollständig neues Konzept noch der einzige Weg, um urbane Zukünfte zu gestalten. Vielmehr handelt es sich um eine Ansammlung bereits existierender urbaner Imaginationen, die unter dem Schlagwort der „Smartness“ zusammengefasst werden. Der Begriff fungiert als Sammelbecken für verschiedene Vorstellungen von Stadtentwicklung, die von Effizienz bis Nachhaltigkeit reichen.

Die neoliberale Logik hinter dem Smart-City-Paradigma

Betrachtet man die treibenden Kräfte hinter Smart-City-Projekten, offenbart sich oft eine neoliberale Logik. Besonders deutlich wird dies bei europäischen Initiativen wie der Europäischen Innovationspartnerschaft für intelligente Städte und Gemeinden (EIP-SCC). Hinter der Rhetorik der „bürgerorientierten“ Smart City verbirgt sich häufig ein Modell, das:

  • die Vermarktung öffentlicher Dienstleistungen vorantreibt
  • Bürger primär als Konsumenten oder passive Datenlieferanten betrachtet
  • städtische Probleme durch technologischen Solutionismus zu lösen versucht
  • die Privatisierung ehemals öffentlicher Vermögenswerte fördert

Diese neoliberale Smart City wird durch Systeme des urbanen Benchmarking gesteuert, die „angemessene“ Ziele für Städte setzen. Sie zielt darauf ab, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, Bereiche der Stadt als Testfelder für die Erprobung neuer Technologien anzubieten und innovative einheimische Start-up-Sektoren zu fördern. Der innerstädtische Wettbewerb passt dabei gut zu einer spekulativen Herangehensweise an den Wohnungsbau und der Privatisierung öffentlichen Raums – alles Merkmale eines neoliberalen Urbanismus, der städtisches Land eher über den Tauschwert als über den Nutzungswert begreift.

Anstatt einer echten Machtverschiebung hin zu den Bürgern werden diese oft nur durch Nudging-Strategien zu erwünschtem Verhalten angeregt, etwa durch Gamification-Elemente bei der Reduzierung des Energieverbrauchs. Diese Mechanismen zielen auf die Herstellung eines „smarten Bürgers“ ab, der innerhalb neuer Formen der Gouvernementalität diszipliniert, angestupst und kontrolliert wird – was als „Smartmentalität“ bezeichnet werden kann. Smarte Technologien tragen so zur Etablierung eines neoliberalen Subjekts im Rahmen individueller Verantwortung bei, etwa durch die Aufzeichnung körperlicher Aktivitäten, das Zählen von Schritten oder das Messen von Ernährungsgewohnheiten, um dann die eigenen Daten zu analysieren und schließlich das eigene Verhalten neu zu kalibrieren.

Von Smart Cities zu Smart Citizens?

Die entscheidende Frage lautet: Wem gehört die Smart City und wem kommt sie zugute? Brauchen Smart Cities intelligente Bürger oder lediglich unkritische Verbraucher? Viele Smart-City-Konzepte setzen zu stark auf Top-Down-Modelle von Datendiensten für Konsumenten, die im Gegenzug für kostenlose mobile Dienste Verhaltensdaten erzeugen.

In den Werbevideos für Smart Cities dominieren oft Bilder von Transparenz, Hyperrealität und Wohnungseinrichtungen der oberen zehn Prozent. Die Vollautomatisierung selbst einfachster Prozesse soll eine Wohlfühl-Umgebung schaffen, die im „fortschrittlichsten“ Fall keine Interaktion mit der Umwelt mehr erfordert, sondern bereits alles weiß. Nach dem Motto: Was du gestern wolltest, willst du morgen auch. Daraus entsteht ein schwer aufzulösendes Paradox technisierter Gesellschaften: Mit komplexerer Technik soll eine Vereinfachung des Lebens stattfinden.

Auffällig ist auch, dass die Darstellungen in Smart-City-Konzepten oft klassischen Modellen der Geschlechterverteilung folgen. Frauen erleben die Wunder der Technik in der Küche, während Männer auf dem Weg zur Arbeit oder am Arbeitsplatz ihre „intelligente“ Umgebung vorfinden. Unabdingbar in diesen Vorstellungen sind zudem Wolkenkratzer aus Glas und Beton – ein Futurismus, der die Perspektive der Entscheider aus den 1980er Jahren widerspiegelt. Es ist die Vision einer Stadt der Investoren, Banker und Großverdiener.

Echte Smart Citizens hingegen zeichnen sich durch andere Qualitäten aus:

  • Sie setzen Technologien bedarfsorientiert ein
  • Sie experimentieren und lernen kontinuierlich
  • Sie beziehen andere in ihre Projekte ein
  • Sie achten auf die Wiederverwendbarkeit ihrer Technologien
  • Sie bewahren größtmögliche Autonomie
  • Sie handeln permissiv und inklusiv
  • Sie geben Zugang statt Zugangsschlüssel zu verteilen
  • Sie würden keine Technologie verwenden, die auf obskurem Know-how basiert

Dabei geht es nicht nur um technologische Innovation, sondern um die Frage, wie Bürger gestärkt werden können, wenn sie das Smart-City-Paradigma kritisch reflektieren. Wie können intelligente Technologien uns vom passiven Konsumenten zum aktiven Produzenten machen?

Die Vermessung des öffentlichen Raums

Mit dem Durchbruch von Big Data und dem Internet der Dinge kündigt sich eine umfassende Vermessung und Steuerung des öffentlichen Raums an. Die Stadt wird zum Sensornetzwerk, in dem potenziell alles erfasst wird: Verkehrsströme, Energieverbrauch, Kommunikationsverhalten und viele weitere soziale Teilbereiche.

Diese Daten fließen in komplexe Simulationsmodelle ein, die zur Steuerung der Stadt genutzt werden. Beim Verkehr ist dies bereits der Fall, doch zunehmend wird auch die soziale Integration einer Stadt als Aufgabe für Netzwerktheorie und Big Data betrachtet. Entwickelt sich ein Stadtteil zum Armenviertel, wird dies als Kommunikationsproblem interpretiert: Das Viertel ist vom Zugang zu den ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen der Stadt abgeschnitten und bildet ein isoliertes Subnetz. Die Lösung besteht dann darin, Verbindungen durch günstigen Nahverkehr und andere Mobilitätsanreize wiederherzustellen.

Diese technokratische Sichtweise wirft jedoch fundamentale Fragen auf: In einem solchen geregelten System bilden die Bürgerinnen und Bürger eine formbare Masse, deren Bewegungen potenziell vorhergesagt und subtil beeinflusst werden können. Städte und Staaten nutzen bereits „Sentiment-Analysen“, um anhand von Äußerungen in sozialen Netzwerken die Stimmung der Bevölkerung zu untersuchen. Mit diesem Wissen ließe sich in einem weiteren Schritt die öffentliche Meinung punktgenau beeinflussen – zumindest theoretisch.

Entscheidend ist dabei, dass diese Datenerfassung und -nutzung nicht neutral ist, sondern von politischen Entscheidungen geprägt wird. Der mit der Smart City verbundene Ansatz steht damit oft im Widerspruch zu Bottom-up-Modellen von Stadtentwicklung und Partizipation.

Sicherheitsrisiken der vernetzten Stadt

Die zunehmende Vernetzung urbaner Infrastrukturen schafft auch neue Sicherheitsrisiken. Jedes sogenannte Smart Device – von Routern und Babyphones bis hin zu Thermostaten und Verkehrsleitsystemen – weist potenzielle Schwachstellen auf.

Forscher des IBM-Sicherheitsteams und des Datensicherheitsunternehmens Threatcare haben bei ihrer Untersuchung von Sensor-Hubs dreier Unternehmen, die Smart-City-Systeme verkaufen, insgesamt 17 neue Schwachstellen entdeckt, darunter acht kritische Fehler. Die Forscher fanden grundlegende Sicherheitslücken wie leicht zu erratende Standardpasswörter sowie Schwachstellen, die es Angreifern ermöglichen könnten, bösartige Softwarebefehle einzuschleusen oder Authentifizierungsprüfungen zu umgehen.

Besonders problematisch: Viele Smart-City-Programme nutzen das offene Internet und nicht ein internes Stadtnetzwerk, um Sensoren anzuschließen oder Daten an die Cloud weiterzuleiten. Einfache Überprüfungen mit IoT-Crawlern ergaben Tausende von gefährdeten Smart-City-Produkten im produktiven Einsatz.

Die Sicherheitsrisiken haben nicht nur Auswirkungen auf die Privatsphäre der Bürger, sondern könnten im schlimmsten Fall auch kritische Infrastrukturen wie Verkehrssteuerung, Wasserversorgung oder Energienetze gefährden. Wie ein Forscher betont: „Wenn sie versagen, könnte das Leben und die Lebensgrundlage schädigen.“

Das Hacking von industriellen Kontrollsystemen ist in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt staatlich geförderter Angriffe geworden. Die Beispiele reichen von der Untersuchung von Netz- und Wahlinfrastruktur bis hin zu verheerenden Schäden wie Stromausfällen und der Gefährdung von Zahlungssystemen durch Malware-Kampagnen. Dies macht deutlich, dass mehr Daten oft auch mehr Risiken bedeuten, und diese Schwachstellen nicht immer einfach zu beheben sind.

Die Kunst als reflektierende Praxis

In diesem komplexen Spannungsfeld kann die Kunst eine wichtige Rolle spielen. Die Fähigkeit der Künste, Räume der Begegnung zu schaffen, in denen unerwartete Fragen, Beziehungen und Implikationen erzeugt und begrüßt werden, ermöglicht nicht nur eine Reflexion über den Status quo, sondern auch neue Formen des Verständnisses und der Bedeutungsschaffung.

Die Rolle und Funktion der künstlerischen Praxis und Reflexion wird als wertvoll und wichtig für das Überdenken von Innovationen angesehen. Gerade in Zeiten, in denen die Technologie verspricht, dass fast alles möglich/machbar ist, während gleichzeitig Gesellschaften und Ökologien unter dem ständigen Druck menschlicher Technologien stehen, stellt sich die Kernfrage nach der Gleichzeitigkeit von Machen und Bewerten.

Wenn wir verstehen wollen, welche neuen Realitäten in der sich schnell entwickelnden Smart City vor uns liegen, müssen wir zunächst verlangsamen und uns erlauben, die komplexen und vielfältigen Beziehungen und Szenarien zu durchdenken, die die Smart City hervorruft. Wir brauchen zielloses Experimentieren, Nachdenken und Debatten darüber, wer wir in der Smart City werden wollen, bevor die Smart City dies für uns entscheidet.

Eine Möglichkeit bestünde darin, eine Plattform zu schaffen, auf der die lösungsorientierte Praxis (Maklerlabore, Designlabore, High-Tech-Campus, DIY-Praktiken) zusammen mit der Praxis der reflektierenden Natur (Kunst, Philosophie, öffentliche Forschung) erhoben werden kann. So könnten Räume entstehen, in denen kritische Fragen nicht nur gestellt, sondern auch aktiv ausgeübt und getestet werden können.

Die Kluft zwischen urbanen und ländlichen Räumen

Bei der Diskussion um Smart Cities wird oft außer Acht gelassen, dass 70 Prozent der Deutschen außerhalb von Großstädten leben. Durch flächendeckende Breitbandversorgung erreicht der digitale Wandel jedoch auch kleine und mittlere Städte sowie ländliche Regionen abseits der Ballungszentren. Gerade hier eröffnen sich neue Chancen für soziale und wirtschaftliche Entwicklungen, denn besonders in diesen Räumen ist der Handlungsdruck aufgrund der demografischen Entwicklungen und des Trends zur Urbanisierung hoch.

Die Herausforderungen in ländlichen Räumen unterscheiden sich dabei deutlich von denen in Großstädten. Während in urbanen Zentren Themen wie Verkehrsstaus, Luftverschmutzung und Wohnraumknappheit dominieren, geht es in ländlichen Regionen stärker um die Aufrechterhaltung der Grundversorgung, medizinische Versorgung sowie Mobilität bei dünner Siedlungsstruktur. Intelligente, digital unterstützte Lösungen könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, um die Lebensbedingungen zu verbessern und der Landflucht entgegenzuwirken.

Wege zu einer demokratischen Smart City

Um eine wirklich „smarte“ Stadt zu schaffen, die im Dienste ihrer Bürger steht, braucht es mehr als technologische Lösungen. Es bedarf demokratischer Kontrollinstanzen und Transparenz, um die Grenzen zwischen legitimer Steuerung und Manipulation zu ziehen.

Die „Selbstorganisation“ der Smart City darf kein technischer Vorgang sein, der von einer Machtelite ausgeübt wird, sondern muss durch Transparenz und Mitspracherechte demokratisiert werden. Eine Stadt wird erst dann wirklich „smart“, wenn es Bürger gibt, die „smart“ genug sind, diese „Smartness“ zu verstehen und mitzugestalten.

Statt nur auf technische Machbarkeit zu setzen, sollten Smart-City-Konzepte von den tatsächlichen Bedarfen der Bevölkerung ausgehen. Die entscheidende Frage lautet nicht, was technisch möglich ist, sondern welche Stadt wir gemeinsam gestalten wollen.

Plattformkritik und digitale Infrastrukturen

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Debatte um Smart Cities ist die Rolle digitaler Plattformen. Diese bilden zunehmend die Infrastruktur, über die städtische Dienstleistungen vermittelt werden. Doch auch hier zeigen sich problematische Machtkonzentrationen:

  • Soziale Plattformen sollten mehr Verantwortung für die Verhinderung von Online-Hassrede und Fehlinformationen übernehmen
  • Es fehlen internationale Normen für Transparenz und Rechenschaftspflicht
  • Plattformen behandeln oft ganze Regionen und Kontinente wie ein einziges Land
  • Die Plattformen sind häufig so konzipiert, dass sie süchtig machen

Eine mögliche Lösung könnte in der Interoperabilität liegen, wie sie im Rahmen neuer europäischer Regelungen vorgeschlagen wird. Dies würde einen faireren Wettbewerb fördern und Nutzern ermöglichen, kleinere Plattformen zu nutzen, auf denen sie sich sicherer fühlen und echten Einfluss auf die Geschäftsbedingungen nehmen können.

Die Stadt als Gemeingut

Letztlich bleibt die fundamentale Frage: Kann die Smart City zur Reduzierung sozialer Ausgrenzung, Ungleichheiten und Marginalisierung beitragen und gleichzeitig die Gesundheit, Lebensqualität und Sicherheit aller Bürger verbessern – insbesondere der weniger privilegierten sozialen Schichten? Die Vision einer wirklich „smarten“ Stadt sollte nicht in technokratischer Kontrolle und Überwachung, sondern in Rechten, Ansprüchen, Gemeinschaft, Partizipation und Idealen jenseits des Marktes verwurzelt sein. Die Stadt gehört ihren Bürgern, nicht umgekehrt.

Stadtmanagement wird zu einer immer komplexeren Herausforderung für die Städte von heute. In einer Welt der beschleunigten Urbanisierung und Globalisierung sind bezahlbares Wohnen, öffentlicher Nahverkehr, Energieeffizienz und soziale Nachhaltigkeit nur einige Beispiele für die wechselseitigen Fragen, die bei der Planung berücksichtigt werden müssen. Um ein Entwicklungsprojekt voranzutreiben, müssen moderne Stadtplaner erheblich in Kommunikation und Zusammenarbeit mit verschiedenen Anspruchsgruppen investieren, um einen Ausgleich zwischen konkurrierenden Interessen und Werten zu finden.

Am Ende könnte sich herausstellen, dass die Bürger einer Stadt „smarter“ sind, als sie selbst es je sein wird. Vielleicht liegt die wahre Innovation nicht in der Technologie, sondern in neuen Formen der Kooperation, Partizipation und Solidarität zwischen den Stadtbewohnern. Noch spannender als die Smart Cities und ihre kybernetischen Gesellschaften wird sein, welche neuen Taktiken ihre Bürgerinnen und Bürger entwickeln werden, um deren Steuerungsversuche zu unterlaufen und eine Stadt zu gestalten, die tatsächlich ihren Bedürfnissen entspricht.

Damian Paderta
Damian Paderta
Webgeograph & Digitalberater