
Inhaltsverzeichnis
- Die Privilegierung religiöser Ansichten
- Wissenschaft als Inspirationsquelle
- Der Gottesbeweis und die Herausforderung des Glaubens
- Kosmologische und ontologische Gottesbeweise
- Kosmologische Argumente
- Ontologische Argumente
- Der Kontext der Plausibilität
- Der Glaube an die Dreifaltigkeit vs. animistische Vorstellungen
- Kulturelle Prägung und soziale Verstärkung
- Der menschliche Hang zur Erzählung
- Kognitive Dissonanz und Bestätigungsfehler
- Die Rolle der Erfahrung und des Übernatürlichen
- Schlussfolgerung
- Die Vielschichtigkeit religiöser Vorstellungen
- Die Entstehung von Religionen: Ein psychologischer Ansatz
- Ontologische Kategorien und “Minitheorien”
- Die soziale Bedeutung von religiösen Vorstellungen
- Die Geheimnisse der menschlichen Kognition
- Die Rolle von Wahrnehmungssystemen
- Das Zusammenspiel kognitiver Systeme
- Das Wissen von Kindern
- Angeborenes und die Entwicklungsprozesse
- Die Evolution der Erkenntnissysteme
- Die menschliche Kapazität zur mentalen Distanzierung
- Religion als evolutionäres Nebenprodukt
- Die Wahlmöglichkeit bei religiöser Erziehung
- Die Bedeutung übernatürlicher Konzepte in der menschlichen Kultur
- Die Bedeutung von Gottheiten und spirituellen Wesen im menschlichen Moralverständnis
- Soziales Verhalten: Ein Produkt der Evolution, nicht göttlicher Gebote
- Unglück im Lichte sozialer Interpretationen
- Der Tod und seine Rolle in religiösen Überzeugungen
- Unglück aus religiöser Perspektive
- Todesrituale und ihre Bedeutung im menschlichen Leben
- Die Funktion und Auswirkungen von Ritualen
- Religion, Lehre, Ausgrenzung und Gewalt
- Der Glaube als Produkt komplexer mentaler Vorgänge
Die Privilegierung religiöser Ansichten
In unserer Gesellschaft gibt es ein scheinbares Tabu, das kritische Auseinandersetzung mit Religion unterbindet. Während politische Themen oft offen diskutiert werden, herrscht bei religiösen Themen eine Atmosphäre des Respekts und der Zurückhaltung vor. Religion und ihre Anhänger genießen oft unangemessene Freiheiten.
Beispielsweise werden in manchen Ländern religiöse Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes akzeptiert, während philosophische Argumente gegen den Kriegsdienst oft abgelehnt werden. In den USA wurde sogar entschieden, dass bestimmte religiöse Gruppen halluzinogene Drogen für ihre Rituale verwenden dürfen, während der Konsum dieser Substanzen in anderen Kontexten illegal ist.
Der übermäßige Respekt vor Religionen kann zu Ungerechtigkeiten führen, wenn zum Beispiel religiöse Überzeugungen dazu benutzt werden, um diskriminierende Ansichten zu vertreten, wie im Fall des Schülers, dessen T-Shirt homophobe und islamfeindliche Botschaften trug und der sich auf Religionsfreiheit berief.
Ferner führt die Tabuisierung der Kritik an Religionen zu Konflikten, wie die Reaktionen auf die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gezeigt haben. Diese Vorfälle unterstreichen, dass Religionen oft frei von Kritik bleiben, auch wenn sie umstrittene oder verletzende Botschaften verbreiten.
Wissenschaft als Inspirationsquelle
Es wird häufig argumentiert, dass Religion vielen Menschen Inspiration und Trost bietet, unter anderem durch die Schaffung von Kunstwerken wie die Sixtinische Kapelle. Diese religiösen Kunstwerke sind jedoch häufig Auftragsarbeiten gewesen, finanziert durch die Kirche, die lange Zeit einer der größten Arbeitgeber war.
Doch um kreativ zu sein, benötigen wir keine göttliche Inspiration. Unsere Welt ist voller Wunder und Mysterien, die als Quelle für künstlerisches Schaffen dienen können, ohne Einschränkungen durch religiöse Doktrinen. Überall um uns herum gibt es Phänomene, die darauf warten, künstlerisch interpretiert zu werden, frei von göttlichen Vorschriften.
Der Gottesbeweis und die Herausforderung des Glaubens
In der Welt der Glaubenssysteme navigieren wir durch ein Meer von Mythen, Legenden und Dogmen, die versuchen, unserem Dasein einen Sinn zu geben. Der menschliche Geist ist eine faszinierende Entität, begierig darauf, das Unbekannte zu erforschen und das Unerklärliche zu erklären. Wir sind Wesen, die in Mustern und Narrativen denken, stets auf der Suche nach dem großen “Warum” unserer Existenz.
Die Religion hat seit Anbeginn der Zeit eine zentrale Rolle in diesem Streben gespielt. Sie bietet nicht nur Antworten auf die großen Fragen des Lebens, sondern auch einen Rahmen, der Gemeinschaft, Trost und moralische Richtlinien bietet. Doch was macht eine religiöse Idee wie die christliche Dreifaltigkeit für ihre Anhänger plausibler als, sagen wir, die Vorstellung, dass Zauberer in der Nacht über Dörfer fliegen und mit Zauberpfeilen schießen, wie es im Glauben der Fang in Westafrika der Fall ist?
Kosmologische und ontologische Gottesbeweise
Zunächst einmal sind Gottesbeweise ein Versuch, das Konzept eines höheren Wesens rational zu untermauern. Wir treffen hier auf kosmologische Argumente, die sich auf die Ursache und Wirkung stützen, und ontologische Argumente, die sich mit der Natur des Seins befassen.
Kosmologische Argumente
Ein bekanntes Beispiel ist der Ansatz von Thomas von Aquin, der argumentierte, dass es eine erste Ursache geben muss – Gott. Diese Idee des “unbewegten Bewegers” hat viele überzeugt, weil sie in Einklang mit unserem kausalen Verständnis der Welt steht. Es gibt jedoch ein logisches Dilemma: Wenn alles eine Ursache haben muss, was ist dann die Ursache Gottes?
Ontologische Argumente
Anselm von Canterbury präsentierte ein anderes Bild: Er argumentierte, dass die Vorstellung von der größtmöglichen Perfektion – Gott – schon ausreicht, um dessen Existenz zu beweisen. Die ontologische Betrachtung geht davon aus, dass unser Geist nicht fähig wäre, Perfektion zu konzipieren, wenn sie nicht existieren würde. Doch diese Argumentation ist angreifbar, denn die menschliche Vorstellungskraft kennt auch Fiktionen, die keine Entsprechung in der Realität haben.
Der Kontext der Plausibilität
Die Frage der Plausibilität religiöser Vorstellungen ist stark vom kulturellen und sozialen Kontext abhängig. Im Westen ist die christliche Lehre seit Jahrhunderten tief verwurzelt. Die Dreifaltigkeit, so komplex sie auch sein mag, ist für Gläubige ein vertrautes Konzept, das durch Kirche, Kunst und Literatur ständig wiederholt und bestärkt wird.
Im Gegensatz dazu mag der Glaube an nächtliche Zauberer fremd und ungewöhnlich erscheinen, vor allem wenn man keine persönliche Verbindung zu den Kulturen hat, die solche Überzeugungen pflegen. Was für die Einen alltäglich ist, kann für Andere absurd erscheinen – und umgekehrt.
Der Glaube an die Dreifaltigkeit vs. animistische Vorstellungen
In unserer modernen Welt, wo wissenschaftliche Erklärungen und rationale Diskurse als Grundpfeiler des Verständnisses gelten, erscheinen religiöse Konzepte wie die christliche Dreifaltigkeit oder animistische Glaubensvorstellungen als Zauberer, die nachts fliegen, auf den ersten Blick als Relikte vergangener Zeiten. Doch diese Glaubenssysteme haben für ihre Anhänger tiefe Plausibilität und Bedeutung, die sich nicht allein durch rationale Argumente erfassen lassen. Was macht also solche Glaubensinhalte für die einen plausibel und für die anderen weniger?
Kulturelle Prägung und soziale Verstärkung
Die Plausibilität eines Glaubenssystems hängt stark von der kulturellen Prägung und sozialen Verstärkung ab. In Gesellschaften, in denen das Christentum seit Jahrhunderten etabliert ist, wird die Idee der Dreifaltigkeit, trotz ihrer inhärenten Komplexität, von Kindheit an vermittelt und durch kirchliche Lehren, familiäre Traditionen und kulturelle Rituale verstärkt. Es wird zu einer “gelebten Wahrheit”, die nicht nur geglaubt, sondern auch gefühlt und erfahren wird.
Animistische Vorstellungen, wie die der Fang, wo Zauberer in der Nacht agieren, sind tief in den Traditionen und dem Weltbild dieser Kulturen verwurzelt. Solche Überzeugungen sind Teil eines holistischen Verständnisses der Welt, in dem Geistwesen und übernatürliche Kräfte eine aktive Rolle im alltäglichen Leben spielen. Für Außenstehende mag dies fremd erscheinen, doch für die Mitglieder der entsprechenden Gemeinschaften ist es eine Lebensrealität.
Der menschliche Hang zur Erzählung
Menschen lieben Geschichten. Sie sind das Medium, durch das wir Sinn und Bedeutung vermitteln. Die Dreifaltigkeit kann als ein narratives Konstrukt betrachtet werden, das hilft, die Beziehung zwischen Gott, Jesus und dem Heiligen Geist zu verstehen – eine komplexe, aber fesselnde Erzählung. Ähnlich verhält es sich mit den animistischen Glaubenssystemen, deren Geschichten über Zauberer und Geister eine tiefe Verbindung zur Natur und zum Universum darstellen.
Kognitive Dissonanz und Bestätigungsfehler
Menschen neigen dazu, Informationen zu suchen und zu bevorzugen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Dieses Phänomen, bekannt als Bestätigungsfehler, macht es schwierig, Glaubensvorstellungen in Frage zu stellen, die tief verankert sind. Die Dreifaltigkeit, einmal angenommen, wird durch eine Vielzahl von theologischen Argumenten und biblischen Interpretationen gestützt, die für Gläubige überzeugend sind. Ähnlich verhält es sich mit den animistischen Praktiken, die durch persönliche Erfahrungen und die Bestätigung durch die Gemeinschaft verstärkt werden.
Die Rolle der Erfahrung und des Übernatürlichen
In vielen Fällen beruht der Glaube an die Dreifaltigkeit oder an fliegende Zauberer auf persönlichen Erfahrungen des Übernatürlichen oder Transzendenten. Solche Erfahrungen können tiefgreifend und verändernd sein und entziehen sich oft einer einfachen rationalen Erklärung. Sie verleihen den Glaubensinhalten eine direkte, persönliche Plausibilität, die durch äußere Argumente nicht leicht erschüttert werden kann.
Schlussfolgerung
Letztlich ist die Plausibilität eines Glaubenssystems nicht ausschließlich eine Frage der Logik oder Beweisführung, sondern ebenso eine Frage der persönlichen und kulturellen Resonanz. Während die Dreifaltigkeit für Christen ein zentrales Dogma darstellt, das durch jahrhundertelange theologische Entwicklung gestützt wird, sind animistische Vorstellungen für andere Kulturen genauso lebenswichtig und real. Beide Weltanschauungen bieten ihren Anhängern ein Rahmenwerk, um das Unerklärliche zu erklären und dem Leben Sinn zu verleihen.
Um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: Ob es nun der christliche Gott in drei Personen oder ein nächtlicher Zauberer ist – der menschliche Glaube hat viele Gesichter, und jedes spiegelt die unendliche Vielfalt menschlicher Kultur und Vorstellungskraft wider.
Die Vielschichtigkeit religiöser Vorstellungen
Religiöse Überzeugungen sind ebenso vielfältig wie die menschliche Phantasie. Sie reichen von sterblichen Gottheiten bis hin zu einfältigen Geistwesen. Zentral ist dabei die Einsicht, dass die Suche nach Erlösung nicht immer im Mittelpunkt steht und dass religiöses Empfinden weit über die Grenzen offizieller Religionen hinausgeht. Man kann tief religiös sein, ohne sich einer bestimmten Religion zugehörig zu fühlen oder überhaupt an “Glauben” im konventionellen Sinne festzuhalten.
Die Entstehung von Religionen: Ein psychologischer Ansatz
Oft wird angenommen, dass Religionen als Trostspender gegenüber der eigenen Vergänglichkeit dienen, die Sorgen des Lebens lindern und die Angst vor dem Tod mindern. Doch wie formen sich diese komplexen religiösen Strukturen?
Es ist verführerisch, Religion als eine Art kognitiver Illusion zu betrachten. Die Entstehung neuer Ideen und Fantasien folgt nicht einer grenzenlosen Freiheit, sondern ist eingebettet in die strukturellen Zwänge unserer mentalen Kapazitäten. Ähnlich wie bei der genetischen Vererbung, bei der Merkmale von Generation zu Generation weitergegeben werden, tragen kulturelle Traditionen dazu bei, dass religiöse Vorstellungen sich wie “Copy-me”-Phänomene verbreiten. Trotz unterschiedlicher Ursprünge finden sich erstaunliche Parallelen zwischen ihnen.
Ontologische Kategorien und “Minitheorien”
Abstrakte Kategorien wie TIER oder WERKZEUG bilden die Grundlage für unsere Vorstellung konkreter Objekte wie Katzen oder Telefone. Wir besitzen quasi “Minitheorien” über verschiedene Klassen von Dingen. Dies überträgt sich auch auf religiöse Konzepte, die oft auf bestehenden Kategorien aufbauen, diese aber um ungewöhnliche Merkmale erweitern, die ihnen eine einzigartige Dimension verleihen.
Beispiele solcher erweiterten Kategorien sind:
- Erscheinende Geister, die zur Kategorie [PERSON] gehören, aber keinen materiellen Körper haben.
- Die Jungfrauengeburt, die in die Kategorie [PERSON] fällt, jedoch ein besonderes biologisches Merkmal aufweist.
- Ein Berg, der Nahrung zu sich nimmt, klassifiziert als [NATUROBJEKT], aber mit der ungewöhnlichen Eigenschaft der Verdauung.
Diese religiösen Ideen beinhalten Elemente, die unserer Intuition widersprechen und dadurch unser Interesse wecken. Sie bilden einen begrenzten Katalog von übernatürlichen “Schablonen”, die interkulturell wiedererkennbar sind.
Die soziale Bedeutung von religiösen Vorstellungen
Religiöse Vorstellungen sind nicht nur intellektuelle Spielereien, sondern sie haben weitreichende soziale Konsequenzen. Sie legen den Grundstein für Rituale, formen die Identität von Gruppen und sind eng mit starken Emotionen verknüpft. So gesehen, spielt es eine wesentliche Rolle, welche kontraintuitiven Elemente in den Vorstellungen vom Übernatürlichen kombiniert werden – oft sind es gerade die ungewöhnlichen Kombinationen, die kulturell nachhaltig prägend sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass religiöse Ideen mehr sind als nur der Glaube an das Übernatürliche; sie sind eingebettet in unsere kognitiven Prozesse und tief verwurzelt in der sozialen Struktur unserer Gesellschaften. Sie bieten ein komplexes Netz aus Erklärungen, Traditionen und emotionalen Verbindungen, die das menschliche Dasein seit jeher prägen und bereichern.
Die Geheimnisse der menschlichen Kognition
Welche Komplexität erfordert unser Denkapparat?
Oft sind unsere Erwartungen und Überzeugungen unbewusst und beruhen nicht auf Vernunft. Dennoch ist die “biologische Maschine” Gehirn ein komplexes Netzwerk. Einige Gedanken sind als zwangsläufige Produkte dieser komplexen Arbeitsweise zu betrachten, geprägt durch Kooperation und selektive Arbeitsteilung innerhalb des Systems.
Die Rolle von Wahrnehmungssystemen
Diese Erkenntnissysteme nutzen wir, um Schlüsse aus neuen Informationen oder Wahrnehmungen zu ziehen, wie beispielsweise bei der intuitiven Physik. Jedes Wahrnehmungssystem verarbeitet nur einen Ausschnitt der Umweltinformationen und zieht daraus intelligente Schlussfolgerungen über diesen speziellen Aspekt.
Das Zusammenspiel kognitiver Systeme
Innerhalb unserer Erkenntnissysteme gibt es Subsysteme, zum Beispiel in der “intuitiven Psychologie” das “Theory of Mind”-Subsystem. Menschen mit Autismus mangelt es beispielsweise an der Fähigkeit, eine “Theory of Mind” zu entwickeln, jedoch nicht am gesamten System der “intuitiven Psychologie”.
Wahrnehmung und Verständnis basieren auf Schlussfolgerungen über Objektaspekte, die von spezialisierten Systemen durchgeführt werden. Ontologische Kategorien “entstehen” durch jeweils unterschiedlich aktivierte Gruppen dieser Spezialsysteme, und jedes Schlussfolgerungssystem besteht aus noch spezialisierteren neuronalen Strukturen – den Subsystemen.
Das Wissen von Kindern
Kinder sammeln durch Ableitung Fakten über ihre Umwelt und bilden sich Vorstellungen von “Genera” und essentialistischem Denken. Sie verfügen über systematisches, intuitives Wissen – unbewusst verstehen sie den Unterschied zwischen sozialer und physischer Verursachung. Kinder identifizieren verschiedene Menschen, betrachten menschliche Gesichter als besondere visuelle Stimuli und nutzen Imitation zur Identifikation – ein Zeichen für ihren komplexen Denkapparat, der besondere Erwartungen, Präferenzen und Schlussfolgerungen ermöglicht.
Angeborenes und die Entwicklungsprozesse
Bereits im Säuglingsalter findet eine Unterscheidung zwischen belebten und unbelebten Bewegungen statt. Die Ursprünge komplexer begrifflicher Unterscheidungen liegen in der Entwicklung generativer Strukturen. Die spezielle intuitive Ontologie des Menschen und die Erkenntnissysteme variieren je nach Spezies.
Die Evolution der Erkenntnissysteme
Die Organisationsweise des menschlichen Gehirns resultiert aus einer Anpassungsleistung. Gedächtnis und die Fähigkeit, Gesichter zu identifizieren, sind essenziell für Kooperation. Wir leben in einer kognitiven Nische, in der Information Orientierung und Kenntnisse liefert. Kooperation ist angesichts unserer Schwäche und Abhängigkeit von Informationen unerlässlich. Für erfolgreiche Kooperation benötigen wir auch Wissen über andere, um uns deren Absichten zu vergegenwärtigen.
Die Dynamik von Allianzen mit einer Neigung zur Gruppenbildung führte zur Entwicklung spezifischer Fähigkeiten und Anlagen. Deshalb sind die “Erkenntnissysteme des sozialen Bewusstseins” eine grundlegende Gruppe von Erkenntnissystemen.
Spezifische Erkenntnissysteme entstanden als Anpassung an spezifische Herausforderungen in verschiedenen Umgebungen, wobei die Anpassung an das soziale Leben für den Menschen essentiell ist, um in seiner ökologischen Nische zu bestehen.
Die menschliche Kapazität zur mentalen Distanzierung
Die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Gedanken von den üblicherweise damit assoziierten sensorischen Erfahrungen oder Handlungen zu trennen, ermöglicht uns mentale Simulationen zur Informationsbewertung, erlaubt episodisches Erinnern und bildet die Grundlage für Meinungsbildung. Diese Fähigkeit zur mentalen Distanzierung liegt auch dem Glauben an Übernatürliches zugrunde: Wenn ein Aspekt außer Kraft gesetzt wird, arbeiten die Erkenntnissysteme weiter wie gewohnt. Übernatürliche Vorstellungen könnten somit eine Folge der menschlichen Kapazität zur Abkopplung sein, wobei religiöse Glaubensinhalte dadurch besonders hervorstechen, dass sie Erkenntnissysteme aktivieren, welche unsere stärksten Emotionen auslösen und leiten.
Religion als evolutionäres Nebenprodukt
Religion könnte als ein zwar unbeabsichtigtes, aber dennoch folgenreiches Nebenprodukt der menschlichen Evolutionsgeschichte betrachtet werden. Ihre Wurzeln finden sich in der kindlichen Entwicklung. Kinder sind in ihrer Frühphase abhängig und verwundbar, weshalb die Evolution sie darauf programmiert hat, erwachsenen Bezugspersonen Vertrauen zu schenken – diese sind ihre Lebensretter. Dieser notwendige Glaube an die Erwachsenen führt als Nebenprodukt dazu, dass Kinder Schwierigkeiten haben, Realität von Fiktion zu trennen.
Ein Kind, das mit der Vorstellung aufwächst, ein höheres Wesen beherrsche das Universum, wird diese Idee als Tatsache akzeptieren. Die Herausforderung, solche tief verwurzelten Überzeugungen im Erwachsenenalter zu überdenken, kann so groß sein, dass viele lieber die Realität ihren Glaubensansichten anpassen, statt Bestehendes infrage zu stellen. Die Langlebigkeit und Hartnäckigkeit religiöser Überzeugungen in menschlichen Gesellschaften könnte somit ein evolutionäres Zufallsprodukt sein.
Die Wahlmöglichkeit bei religiöser Erziehung
Es ist entscheidend, dass wir Kindern die Freiheit lassen, über religiöse Zugehörigkeit selbst zu entscheiden. Niemand würde sein Neugeborenes bei einer politischen Partei anmelden, denn ein Kind hat noch keine politische Meinung und kann auch nicht selbst wählen, politisch aktiv zu werden. Analog sollte dies auch für die Religion gelten, doch viele Eltern lassen ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt taufen, ohne zu bedenken, ob das Kind später religiös sein möchte oder nicht.
Insbesondere in den christlichen und einigen anderen Religionen geschieht die religiöse Inklusion oft durch körperliche Rituale, ohne dem Kind eine Wahl zu lassen. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zum Ziel, Kinder zu freien und unabhängigen Menschen zu erziehen, und läuft Gefahr, gerade in jungen Jahren Schaden anzurichten. Kinder glauben nahezu alles, was man ihnen sagt, und die Furcht vor religiösen Konsequenzen wie der Hölle kann zu tiefer Verunsicherung und psychischem Leid führen. Eine gesunde kindliche Entwicklung erfordert einen anderen Ansatz.
Die Bedeutung übernatürlicher Konzepte in der menschlichen Kultur
Menschen sind geneigt, an Wesen mit scheinbar übernatürlichen Kräften zu glauben. Diese Wesen sind in unterschiedlichem Maße bedeutend in unseren Leben. Doch was motiviert diese Glaubensrichtungen?
Der Nutzen der Religion liegt mehr in der Praxis als in der Theorie. Glaube wird besonders in Momenten des Bedarfs wichtig, wie etwa nach dem Verlust eines geliebten Menschen, wenn Menschen sich in Gebeten an eine höhere Macht wenden. Wir konzipieren Götter und Geister in personenähnlichen Formen, wobei es ihre geistige, nicht ihre physische Präsenz ist, die wir wahrnehmen.
Unsere kognitiven Systeme registrieren Aktivitäten, ohne unmittelbar ihre Quelle zu erkennen, und wir neigen dazu, dahinter einen Akteur zu vermuten. Dies führt dazu, dass wir Zeichen übernatürlicher Akteure erkennen. Nach der These des Psychologen Justin Barrett werden unsere Erkenntnissysteme so fein abgestimmt, dass sie einst zum Schutz vor Raubtieren dienten, doch entsprechen Götter wirklich Raubtieren? Im Gegensatz zu ständigen Bedrohungen sind Götter und Geister stabile Konzepte, die durch Mitteilungen anderer Menschen Bestand haben.
Götter und Geister können auch als imaginäre Begleiter betrachtet werden, mit denen wir interagieren, auch wenn sie nicht physisch anwesend sind. Unsere Fähigkeit, kontrafaktisch zu denken (“Was wäre, wenn…?”), ermöglicht Interaktionen mit nicht präsenten oder imaginären Figuren. Gläubige teilen ihre Erfahrungen mit diesen Wesen und schreiben ihnen die Fähigkeit zu, strategisch wertvolle Informationen zu besitzen.
Diese Informationen beeinflussen unser Handeln, und religiöse Figuren mit Zugang zu solchen Informationen sind besonders bedeutend. Unsere Interaktion mit übernatürlichen Wesen scheint natürlich, da sie von den gleichen kognitiven Systemen gelenkt wird, die auch unser alltägliches Handeln bestimmen.
Die Übertragung von Informationen über Generationen hinweg führt zur Bildung von Vorstellungen über religiöse Figuren. Das Relevanzprinzip besagt, dass Informationen, die von mehreren Erkenntnissystemen genutzt werden können, höhere Bedeutung erlangen.
Im Vergleich zu “hirnlosen Akteuren” oder allwissenden Wesen wird die Bedeutung des Zugangs zu strategischen Informationen offensichtlich. Die Annahme, dass Götter und ähnliche Figuren über vollständige strategische Informationen verfügen und nicht nur Wunder wirken, erklärt das Interesse der Menschen an religiösen Vorstellungen anderer und die Wahrscheinlichkeit, dass solche Konzepte kulturell überdauern.
Die Bedeutung von Gottheiten und spirituellen Wesen im menschlichen Moralverständnis
Was bewegt Menschen dazu, Gottheiten und spirituellen Wesen Bedeutung beizumessen? Diese Frage führt uns zu der Beziehung zwischen Moral und Religion, einer Verbindung, die weltweit mit der menschlichen Erfahrung von Leid verknüpft ist. Menschen assoziieren Götter oft mit moralischen Richtlinien, wobei die Gottheiten als Urheber moralischer Prinzipien gesehen werden, die als paradigmatische Vorbilder und interessierte Parteien im menschlichen Handeln wirken.
Die Idee von Gottheiten als Gesetzgeber ist zu allgemein und die von paradigmatischen Gestalten zu spezifisch. Unsere moralischen Überlegungen sind in einem System von Regeln und Schlussfolgerungen organisiert, während moralische Empfindungen emotionale Reaktionen auf bestimmte Situationen oder Entscheidungen sind. Diese Prozesse sind miteinander vermischt und Gefühle selbst können durch Prinzipien hervorgerufen werden.
Die Formulierung allgemeiner moralischer Prinzipien ist schwierig. Wie entwickeln wir dann unser moralisches Empfinden? Durch die allmähliche Verfeinerung und Abstraktion von Prinzipien und die Entwicklung spezifischer emotionaler Reaktionen. Kinder unterscheiden zwischen moralischen Prinzipien und konventionellen Regeln und besitzen ein Verständnis für ethisches Verhalten.
Es gibt keine genetischen Dispositionen für sozialverträgliches Verhalten, aber die Evolution hat drei Mechanismen hervorgebracht, die selbstloses Verhalten fördern: die Auslese nach Sippe, reziproker Altruismus und Verbindlichkeitsmechanismen. Dispositionen zur Ehrlichkeit zahlen sich aus, wenn es Bereitschaft gibt, Betrüger zu bestrafen und Empörung über das Nicht-Bestrafen von Verbrechern besteht, auch wenn wir nicht direkt betroffen sind.
Unser schlechtes Gewissen wiegt oft schwerer als die Vorteile eines Betrugs, während Dankbarkeit und Stolz positive Prämien für kooperatives Verhalten darstellen. Diese Dispositionen sind teilweise unkontrollierbar und erhöhen dadurch ihre Effektivität.
Wie stehen Gottheiten mit diesen moralischen Konzepten in Verbindung? Unsere moralischen Gewissheiten, die uns von der Objektivität von Gut und Böse überzeugen, werden oft auf Gottheiten projiziert, die als interessierte Parteien in moralischen Entscheidungssituationen betrachtet werden. Die Annahme, dass Gottheiten vollständige Informationen besitzen und Recht von Unrecht unterscheiden können, lässt uns unsere eigenen moralischen Gewissheiten mit denen der Gottheiten gleichsetzen.
Unser Bewusstsein ist so organisiert, dass es uns leichter fällt, Gottheiten Relevanz zuzusprechen. Das Verständnis moralischer Gewissheiten als Perspektive eines anderen Wesens erleichtert es uns zu begreifen, warum wir sie besitzen. Die Vorstellung von Göttern, die über vollständige Informationen verfügen, fügt sich nahtlos in unser moralisches Denken ein, da Menschen als kooperative Spezies keine spezielle Vorstellung von Gottheiten benötigen, um moralisch zu handeln. Dennoch können Vorstellungen von Gottheiten, die über unser Handeln informiert sind, leicht in moralisches Denken integriert werden.
Soziales Verhalten: Ein Produkt der Evolution, nicht göttlicher Gebote
Die Behauptung vieler religiöser Menschen, Religion sei für die Gesellschaft wichtig, da sie moralische Leitlinien bereitstelle, wird häufig vorgebracht. Es wird argumentiert, dass gute Taten häufig nur durch religiöse Gebote motiviert seien.
Dieses Verständnis unterschätzt jedoch die evolutionären Wurzeln unseres sozialen Verhaltens. Unsere Vorfahren waren weder mit übermächtigen physischen Attributen ausgestattet noch waren sie außergewöhnlich schnelle Läufer. Ihr Überleben in der Wildnis hing von ihrem Verstand und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ab. Das Leben in einer Gemeinschaft steigerte die Fortpflanzungschancen und führte dazu, dass soziale Fähigkeiten fest in unsere genetische Programmierung eingebettet wurden.
Altruismus und Egoismus sind demnach eng miteinander verknüpft. Handlungen, die auf den ersten Blick selbstlos erscheinen, können sich langfristig als das Beste für das Individuum herausstellen. Die fortschreitende Entwicklung von Arbeitsteilung und gegenseitiger Abhängigkeit in der Gesellschaft hat diese Tendenzen nur noch verstärkt. Die Religion erscheint in diesem Kontext als eine Ansicht, die sich das inhärent Gute im Menschen aneignet, doch sollte man hierbei nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
Unglück im Lichte sozialer Interpretationen
Menschen neigen dazu, Unglück als Folge von Neid und sozialen Interaktionen zu interpretieren. Es wird nach Strukturen und Gründen gesucht, wo oft nur Zufall herrscht. Über die Ursachen von Unglück hinaus suchen Menschen nach tieferen Gründen, wobei Götter häufig als Urheber von Missgeschicken gesehen werden, weil sie als mächtig gelten. Menschen schreiben Gottheiten Handlungsgründe zu und verbinden diese mit der Interaktion zwischen Menschen und dem Göttlichen.
Unser intuitives moralisches Denken unterstützt das Verständnis und die Weitergabe bestimmter religiöser Ideen. Im Kontext von Unglück führt unsere Tendenz, bemerkenswerte Ereignisse im Sinne sozialer Interaktionen zu deuten, dazu, dass Akteuren mit angenommener Macht noch größere Bedeutung zugeschrieben wird.
Der Tod und seine Rolle in religiösen Überzeugungen
Die Vorstellung, dass Religion notwendig sei, um der Gesellschaft einen moralischen Rahmen zu bieten, wird oft betont. Es heißt, gute Taten würden häufig nur aufgrund religiöser Vorschriften vollbracht.
Doch soziales Verhalten wurzelt tief in der Evolution und nicht in göttlichen Anweisungen. Unsere Vorfahren überlebten durch Intelligenz und Gruppenzusammenhalt, nicht durch körperliche Überlegenheit. Sozialkompetenz ist daher genetisch in uns verankert und wird nicht allein durch religiöse Lehren vermittelt.
Altruismus mag scheinbar selbstlos wirken, dient jedoch oft dem langfristigen Selbstinteresse. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung und Arbeitsteilung wuchs die wechselseitige Abhängigkeit, was das Prinzip der Kooperation verstärkte. Religion, so scheint es, hat diese bereits vorhandenen menschlichen Tugenden übernommen und sich zu eigen gemacht, ohne jedoch deren Ursprung zu sein.
Unglück aus religiöser Perspektive
Die menschliche Neigung, Unglück auf Neid zurückzuführen, zeigt unsere Tendenz, Ereignisse als Ergebnis sozialer Interaktionen zu interpretieren. So werden Gottheiten oft als Akteure gesehen, die Unglück bringen können. Doch diese Sichtweise wird der Komplexität des menschlichen moralischen Denkens nicht gerecht.
Unser intuitives moralisches Verständnis hilft uns, religiöse Ideen zu begreifen und weiterzugeben, wobei der Tod und die damit verbundenen Rituale oft als Beweis für religiöse Überzeugungen angesehen werden. Doch ist die Angst vor dem Tod wirklich ein allgemein menschliches Phänomen, und drehen sich religiöse Vorstellungen primär um das Jenseits?
Religionen bieten verschiedene Interpretationen des Todes an, oft als Übergangsphase gesehen. Aus evolutionärer Sicht geht es dabei nicht nur um das nackte Überleben, sondern um die Weitergabe der Gene, was ein komplexes System von Ängsten und emotionalen Programmen im Menschen hervorruft.
In der Ethnologie erscheint Religion weniger als Trostspenderin, da nicht alle Religionen Belohnungen wie Rettung vom Tod oder ewige Seligkeit versprechen. Stattdessen werden Verstorbene zu Ahnen oder Geistern, was als normaler Verlauf und nicht als besondere Belohnung für moralisches Verhalten gesehen wird.
In allen Kulturen gibt es vorgeschriebene Rituale und Normen im Umgang mit dem Tod, die zeigen, dass Religionen oft Praktiken und Vorstellungen um den Tod herum aufbauen, um mit der Endgültigkeit des Lebens umzugehen und ein Gefühl von Kontinuität und Sinn zu vermitteln.
Todesrituale und ihre Bedeutung im menschlichen Leben
Todesrituale symbolisieren den Übergang von einem Lebenszustand in einen anderen und führen oft zu einer veränderten Wahrnehmung des Verstorbenen. Der menschliche Körper wird nach dem Tod zum zentralen Problem, da unsere Vorstellungen von den Toten oft vage sind, aber unsere Gedanken an die kürzlich Verstorbenen sehr detailliert.
Diese Rituale befassen sich vornehmlich mit den Fragen der Lebenden und zentrieren sich um den Umgang mit dem Leichnam. Tote Körper lösen komplexe Emotionen aus, da unsere emotionalen Reaktionen aus der Kombination verschiedener mentaler Prozesse resultieren.
Verunreinigung durch den Leichnam entsteht, weil der Körper in Verwesung übergeht und damit biologisch als unrein angesehen wird. Der Mensch hat ein intuitives Wissen, dass man verwesende Körper meiden sollte, nicht aufgrund mystischer Vorstellungen, sondern weil reale Gefahren bestehen.
Der Tod und die Jagd sind eng miteinander verbunden. Der Zusammenhang zwischen dem Tod und der Vorstellung von übernatürlichen Wesen wird oft nur metaphysisch betrachtet, dabei spielt auch das intuitive Verständnis biologischer Prozesse eine Rolle.
Die Frage, was eine Person ausmacht, wird in verschiedenen Kulturen unterschiedlich beantwortet, aber alle haben eine Vorstellung von Leben, Empfindungsfähigkeit und persönlicher Identität.
Wenn verschiedene Erkenntnissysteme nicht harmonieren, entsteht Dissoziation. Der Anblick eines Toten bringt Schlussfolgerungen aus verschiedenen Systemen hervor, die nicht zusammenpassen.
Philosophen und Ethnologen gehen davon aus, dass Menschen von Natur aus dualistisch denken, indem sie intuitiv zwischen Körper und Geist unterscheiden. Dies führt zu einem Konflikt zwischen den intuitiven Gewissheiten, die von den personenbezogenen Systemen bereitgestellt werden.
Todesrituale zielen auf die Frage ab, was mit dem Körper geschehen soll, und drehen sich um den Übergang in einen anderen Seinszustand.
Trauer ist eine besondere Emotion, die mit dem Tod zusammenhängt, und negative Gefühle entstehen, weil der Tod nur von einigen mentalen Systemen als ein Ende angesehen wird.
Tote Körper und übernatürliche Akteure passen in die Vorstellung des Übernatürlichen. Die Vorstellungen von den Seelen der Toten oder Geistern gehören zu den weltweit verbreitetsten übernatürlichen Akteuren und sind eine einfache Art, die Idee des Übernatürlichen zu vermitteln.
Die Verbindung von Totenvorstellungen und Religion findet sich in den Heilslehren verschiedener Religionen wieder. Diese Lehren mobilisieren Emotionen und Vorstellungen für ihre Zwecke.
Zusammenfassend geht es in der Religion weniger um den Tod selbst, als vielmehr um die Bedeutung, die tote Körper in unseren Vorstellungen und Riten einnehmen.
Die Funktion und Auswirkungen von Ritualen
Rituale sind strukturierte Handlungsabfolgen, die sich durch ihren oft religiösen Kontext und vorgegebene Durchführungsweisen von alltäglichen Aktivitäten abgrenzen. Sie stehen in Verbindung mit übernatürlichen Akteuren und werden zu bestimmten Zeiten mit der Hoffnung auf spezifische Ergebnisse vollzogen, übergreifend in allen menschlichen Gemeinschaften.
Die Durchführung eines Rituals folgt festen Regeln, die Rollen der Teilnehmer, den Ort, die spezifischen Handlungen und die Verwendung bestimmter Objekte vorschreiben. Ein festgelegtes Skript strukturiert das Ritual.
Rituale haben vielfältige Auswirkungen und Bedeutungen und können als ein altes menschliches Verhalten angesehen werden. Sie schaffen ein Dringlichkeitsgefühl und setzen Regeln, die die sozialen Beziehungen innerhalb der Gruppe und die soziale Interaktion beeinflussen. Rituale erzeugen die Illusion, dass soziale Ergebnisse durch rituelle Handlungen erreicht werden können. Es gibt sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Rituale. Götter und Geister gelten als “besondere Teilnehmer” in unserer Tradition und Gesellschaft, die das Gemeinschaftsgefühl stärken.
Religion, Lehre, Ausgrenzung und Gewalt
Das Bild einer religiösen Gemeinschaft als feste Gruppe, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl schafft und Außenstehende als potenzielle Feinde ansieht, ist zu simplifiziert. Die Verbreitung religiöser Ideen basiert vor allem auf Bündnispolitik, nicht auf Aggression.
Religiöse Spezialisten variieren von lokalen Kulten, bei denen die Autorität auf persönliche Eigenschaften zurückgeführt wird, bis hin zu Spezialisten der Weltreligionen, die durch Ausbildung und übergeordnete Organisationen legitimiert werden. Die Entstehung religiöser Verbände in großen Staatsgebilden und die Verbreitung religiöser Schriften durch schriftkundige Spezialisten führten zu religiösen Dienstleistungsanbietern, die sich durch Marktmonopole und die Umwandlung ihrer Produkte in Markenartikel behaupten.
Religiöse Ideen bilden oft eine explizite Lehre, die durch Allgemeingültigkeit, Unveränderlichkeit und innere Kohärenz gekennzeichnet ist. Religion führt nicht zwangsläufig zu Ausgrenzung; das intuitive Bündnisdenken und eine Kosten-Nutzen-Analyse sind oft die Basis für die Gruppenbildung. Fundamentalismus kann als Reaktion auf die Bedrohung des religiösen Bündnisses verstanden werden, wobei Gewalt hauptsächlich gegen eigene Mitglieder und modernisierende Religionsformen innerhalb der Gruppe gerichtet ist.
Zusammenfassend wird deutlich, dass nicht alle religiösen Vorstellungen ethnische Erkennungszeichen sind, nicht alle Erkennungszeichen als Bündnissignale verwendet werden und nicht alle Bündnisse geringe Austrittskosten haben. Reaktionen auf bedrohte Bündnisse variieren, und nicht alle Mitglieder reagieren mit der Erhöhung des Preises für den Austritt.
Der Glaube als Produkt komplexer mentaler Vorgänge
Der Glaube an eine höhere Macht ist nicht durch eine einzelne Ursache zu erklären. Religion entsteht als Ergebnis der Aktivierung mehrerer mentaler Systeme, was ihre kulturelle Präsenz und Plausibilität für viele Menschen begründet. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen, wie die Evolutionsbiologie, Ethnologie und Psychologie, identifizieren ein Zusammenspiel von Faktoren, die als kollektive Kraft der kulturellen Evolution wirken. Menschen neigen dazu, einfache Erklärungen für komplexe Phänomene zu suchen, anstatt die unsichtbaren Mechanismen zu akzeptieren, die hinter diesen Phänomenen stehen.
Gläubige Menschen sind oft weniger an den Ursprüngen ihres Glaubens interessiert, während Skeptiker annehmen, Gläubige seien naiv oder uninformiert, was nicht unbedingt der Wahrheit entspricht.
Die Erfolgsgeschichte vieler Religionen trotz regelmäßiger Verstöße gegen das Prinzip der Widerspruchsfreiheit lässt sich durch einige mentale Prozesse erklären, die Menschen über ihre fundierten Überzeugungen hinausführen:
- Konsens-Effekt: Menschen passen ihre Wahrnehmung an die Beschreibungen anderer an.
- Falscher Konsens: Die irrtümliche Annahme, dass die eigenen Eindrücke von anderen geteilt werden.
- Urheber-Effekt: Bessere Erinnerung an selbst erlangte Informationen im Vergleich zu nur beobachteten.
- Erinnerungstäuschungen: Die intuitive Sicherheit, etwas wahrgenommen zu haben, das nicht der Realität entspricht.
- Mangelhafte Quellenprüfung: Die Unfähigkeit, die Ursprünge einer Information nachzuvollziehen.
- Bestätigungstendenzen: Die Tendenz, nach Beispielen zu suchen, die die eigene Hypothese stützen und widersprechende zu ignorieren.
- Verminderung kognitiver Dissonanzen: Die Neigung, neue Überzeugungen an die erinnerten anzupassen.
Diese Prinzipien gelten nicht für alle mentalen Prozesse. Viele agieren sowohl als Anwalt als auch als Richter, indem sie über Argumente entscheiden, die dann als Fakten präsentiert werden. Informationen werden nicht zentral verarbeitet, und diese Prozesse sind evolutionär vorteilhaft, da sie schnelle Reaktionen ohne langes Überlegen ermöglichen.
Religion ist daher eine natürliche Konsequenz – eine wahrscheinliche Manifestation, wenn man die mentalen Prozesse und Systeme im menschlichen Gehirn betrachtet.
Letztendlich ist die Frage, warum bestimmte religiöse Überzeugungen als plausibler angesehen werden als andere, nicht einfach zu beantworten. Es geht nicht nur um die Beweise oder Logik hinter den Glaubenssystemen, sondern auch um Tradition, Erziehung und die menschliche Tendenz, an das zu glauben, was vertraut ist. In einer Welt, die von Diversität geprägt ist, ist es wichtig, einen offenen Geist zu bewahren und zu erkennen, dass Plausibilität oft im Auge des Betrachters liegt.