Für digitale Nomaden sind freie WLAN-Spots die Oasen des Webs. Orte mit freiem WLAN als Oasen in der Offline-Wüste zu betrachten ist der Tatsache geschuldet, das kostenloses WLAN in Cafés oder öffentlichen Orten in Deutschland ausgesprochen selten ist. Teure Volumenrates und instabile Leitungen machen das mobile Arbeiten selbst in größeren Städten zu einer unentspannten Angelegenheit. Für die Kommunikation via Messenger oder E-Mail reicht die Bandbreite jedoch meistens aus. Wie alle technischen Möglichkeiten hat dies mehrere Aspekte: Welche Auswirkungen haben die Möglichkeiten permanenter und ubiquitärer Erreichbarkeit auf den Raum in dem wir leben?
Ungewollt erreichbar oder lieber gewollt unerreichbar?
Soziale Interaktionen sind durch Reziprozität gekennzeichnet. Implizite Regeln wie die Erwartungshaltungen einer Antwort bei einer Fragestellung verstehen sich von selbst. Wie verhält es sich jedoch mit den unterschiedlichen Kanälen auf denen wir kommunizieren? Gibt es unterschiedliche Erwartungshaltungen bei Email, Messenger, Telefonanrufen, SMS oder Webseiten Posts? Wenn es sie gibt was bedeuten sie für die Wertigkeit dieser Kanäle?
Dass per WhatsApp schneller geantwortet werden kann als in einem Brief ist banal und hat einfache, technische Gründe. Bei allen anderen Kanälen besteht dieser Grund nicht. Die mögliche Antwort-Geschwindigkeit ist bei allen etwa gleich hoch. Dennoch gibt es Praktiken in der digitalen Kommunikation die nie wirklich bewusst beschlossen oder verhandelt wurden, aber Teil unserer alltäglichen Praxis geworden sind. Eine wichtige Angelegenheit würden die meisten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nicht im Facebook Chat, Text Secure oder SMS klären, sondern, nehmen wir die Möglichkeit persönlich zu erscheinen an dieser Stelle raus, eher telefonisch oder per Email.
Die klassische Email scheint (noch) die „offiziellste“ Form der digitalen Kommunikation zu sein. Daher ist häufig zu beobachten, dass es in Ordnung ist, wenn die Antwortzeit länger ist, als technische notwendig. Mit An- und Abrede gleicht die E-Mail noch formal einem Brief. Im Messenger ist dies unangebracht. I. d. R. kommt man direkt zum Punkt. Selbst die kürzeste Begrüßungsformel fällt weg. Wozu überhaupt diese Begrüßung? Dient sie einer Begegnung mit einem freundlichen Tonfall in der Stimmung dazu die Wiedersehensfreude zu unterstreichen oder die friedliche Kooperation der Gesprächsteilnehmer einzuleiten, erscheint sie im Messenger völlig überflüssig. Im virtuellen Raum sitzt man seinem Gesprächspartner quasi ständig gegenüber.
Äh – ich bin gerade nicht da…
Wäre es nicht auch in der analogen Welt äußerst befremdlich, sich nach ein paar Stunden des Zusammenseins erneut zu begrüßen? Dieses permanent virtuelle „Nebeneinandersitzen“ hat unmittelbare und vielschichtige Auswirkungen auf unser Verhalten im sozialen, als auch im analogen Raum. Die ubiquitäre Verfügbarkeit von Kommunikation macht es uns nicht gerade einfacherer, uns aus unbequemen oder ungewollten Unterhaltungen oder Begegnungen zurückzuziehen. Die räumliche Trennung spielt keine Rolle mehr, will man den Kontakt zu einem nervigen Kommunikationspartner etwas eindämmen. Die soziale Lüge, man hätte die Nachricht aus irgendwelchen technischen Gründen nicht erhalten, ist nicht erst seit WhatsApps „gelesen“ Funktion immer schwieriger aufrecht zu erhalten.
Zwingt dies nun zu mehr Ehrlichkeit? Oder wenden wir uns anderen Formen der sozialen Lüge zu, um selbstbestimmt den Zeitpunkt zu wählen, wann und mit wem wir kommunizieren möchten, wenn der Ort schon fast keine Rolle mehr spielt? Den Zeitpunkt können wir ausdehnen, wenn wir uns an die fehlende Zeit die wir haben, erinnern. Dieser Vorwand scheint aber sehr inflationär. Schon eher akzeptabel ist der Grund für verspätetes Antworten, Erschöpfung oder geistige Umnachtung.
Die Technik und die Zeit scheinen also keine triftigen Gründe mehr zu bieten, um ungewollten Kommunikation einzudämmen oder gar zu kappen. Daher spielt der Raum eine wichtige Rolle. Menschen mit einem Kreis an mitteilungsfreudigen Messenger-Usern können davon ein Lied singen: die permanente Beschäftigung damit, Freunden und Bekannten alles mitzuteilen oder mitgeteilt zu bekommen, ist ein zeitintensives Hobby geworden. Vielen ist dies in den meisten Fällen eine kaum wegzudenkende Möglichkeit der Kommunikation. Schauen wir uns die übrigen Fälle an: wir möchten nicht immer Rede und Antwort stehen. Oder alles von uns preisgeben. Oder jede triviale „Neuigkeit“ unserer Kontakte erfahren.
Die Gründe sind vielfältig. „Aussteigen“ ist natürlich keine Option. Dafür überwiegen die technischen Möglichkeiten des Austauschs zu sehr. Mit der immer tieferen Durchdringung der Gesellschaft von netzfähigen mobilen Endgeräten wird diese Form der Kommunikation noch weiter zunehmen. Die Netze werden weiter ausgebaut und Verbindungsgeschwindigkeit beschleunigt. Diesem technischen Trend ist wenig entgegen zu setzen. Wie aber kommen wir in diesem neuen Setting zurecht?
Offlineoasen
Die Vernetzung um uns wird mehr, schneller und dichter. Manchmal können und wollen wir nicht permanent agieren. Wandelt sich, um in dieser Metapher zu bleiben, die Wüste in eine Oase des ubiquitären Zugangs, ändert sich auch dessen Bedeutung. Nun hat sie weder ein Alleinstellungsmerkmal, noch scheint sie besonders attraktiv zu sein. Schließlich umgibt sie einen. Die einzelnen kleinen Flecken der Wüste bekommen eine neue Bedeutung zugeschrieben, eben weil wir die permanente Möglichkeit der Verbindung mit ambivalenten Gefühlen gegenübertreten.
Nun erscheinen die Orte der Verbindungslosigkeit als besondere Orte der Ruhe und Freiheit vor sozialen Zwängen. Besonders dann, wenn ihre Verbindungslosigkeit bekannt, kartiert oder akzeptiert ist. Betreten wir, mit dem Wissen unserer Kommunikationsbuddys diese Räume, ändert sich das Setting. Der vormals omnipräsente virtuelle Raum der Kommunikation verwandelt sich in einen digitalen Totraum, der als Zugewinn an Ruhe und Zeit bewertet werden kann. Eine Offline-Oase.
Wie können sich Orte mit Unzulänglichkeiten als Feature ausweisen, wo doch eine ubiquitäre Verbindung zum Internet ein höchst erstrebenswerter Zustand ist? Ich stelle mir darunter ganze Areale vor, von denen bekannt ist, das sie keine Internetverbindung haben. Oasen für diejenigen, für die Konnektivität der Normalzustand sind. Um Neues zu erfahren und zu schaffen brauchen diese Normalzustände regelmäßig einen Bruch, eine Umkehrung, um etwas Neues bei der Rückkehr auf den vorigen Zustand zu erschaffen. Diese kreativen Umbrüche sind vergleichbar mit zwei Kontinentalplatten, die ineinander drücken und dabei auf einer Seite Gebirge und auf der anderen ein Graben entstehen lassen. Das Eine ist nicht ohne das Andere möglich.
Diese Zustände außerhalb unser alltäglichen Erfahrungen sind es, die Freiraum zum Denken und Impulse zum Umdenken ermöglichen. Im normalen Zustand der permanenten Vernetzung kann der Offline-Modus eine Umgebung schaffen, die den Fluss der Zeit entschleunigt und die die soziale Kontrolle unserer Peer-Groups zeitweise außer Kraft setzt. Bieten moderne Informations- und Kommunikationstechnologien die Möglichkeit der Kontaktaufrechterhaltung über die Raum-Zeit Beschränkungen hinaus, fällt es schwer diese Vorteile nicht auszunutzen. Dabei geht es nicht darum um Internet-Dystopien zu zeichnen; So wie momentan das Bedürfnis nach einem stabilen schnellen Netz aus dem Umstand unzureichender mobilen Konnektivität besteht, so wird sich in der Zeit ubiquitärer Konnektivität mit all ihren sozialen Implikation der (bekannte) Offline-Ort als Bedürfnis manifestieren. Auch und besonders von kreativen, digitalen Nomaden.
Panic rooms für digital Gestresste und Technophobiker?
Wie sieht der unseren Alltag von Kommunikation im hypervernetzten Raum, der eher Zukunftsszenario zu sein scheint, als tatsächliche Praxis aus? An dieser Stelle mögen einige zu Recht einwenden, dass der Netzausbau in Deutschland eher schlurft denn rennt. Besonders eklatant im ländlichen Raum. Eine Diskussion um Offline-Oasen sei ein fiktives Luxusproblem. Das ist solange richtig, bis der Vernetzungsgrad zur soziale und staatliche Kontrolle ein solches Niveau erreicht, an dem von einer transparenten Gesellschaft gesprochen werden kann.
Die postulierte Freiheit, mit einem Netzwerk aus Individuen jederzeit in Interaktion treten zu können, ist die Unfreiheit des Einzelnen sich dieser Möglichkeit ohne Nachteile zu entziehen. Auf individueller Ebene existiert die Freiheit nur, wenn das Individuum die Wahl hat, sich zwischen Interaktionsabbruch und Aufnahme bzw. Aufrechterhaltung bei gleichen Kosten zu entscheiden. Dass dies selten der Fall ist, lehrt unsere Erfahrungen. Es ist uns nicht einfach möglich, konsequenzlos nicht zu kommunizieren. Besonders im Zeitalter der allgegenwärtigen Vernetzung. Das ist kein Bug, sondern sogar sehr menschlich. Es braucht also einen äußeren Rahmen, um uns aus der Verlegenheit zu bringen, immer jederzeit, für jeden erreichbar zu sein. Wie könnte er Aussehen?
Dazu sind verschieden Szenarien vorstellbar: einmal auf technischer Ebene und auf sozialer Ebene. Die technische Ebene schließt alle Maßnahmen ein, die uns daran hindern, uns ins Netz einzuloggen. Dies könnten z.B. Gebäude wie Gästehäuser sein, die den Empfang technisch unterdrücken. Ferieninseln könnten in Zukunft damit werben, dass Empfang und der Zugang zum Internet nicht möglich sei. Zugegeben, eine nicht sehr charmante Vorstellung und eher für psychische Outbreaks oder neurotische Manager vorstellbar, als für Menschen die selbstbestimmt leben, ihre Kommunikationsaktivitäten im Griff haben und keine künstliche Restriktionen brauchen um dieses Leben auch weiterhin zu führen.
Bitte begeben Sie sich in den Flugmodus!
Für Partys und soziale Zusammenkünfte jeglicher Art, auf denen das menscheln im Vordergrund steht, kann ich mir allerdings auch technische Lösungen vorstellen, die den Blick der Anwesenden abwärts aufs Handy unnötig machen. Aber auch an dieser Stelle hat dies einen bevormundenden Charakter und eine technische Lösung für ein soziokulturelles Problem scheint mir alles andere als überzeugend zu sein. Die Lösung scheint viel einfacher: Jedes Smartphone besitzt diese Funktion bereits: den Flugmodus. Der Ausschalter jeglicher Kommunikation. Das Einschalten dieses Ausschalters scheint mir nicht häufig genug eingesetzt und viel seltener selbstbewusst vorgetragen zu werden.
Der Flugmodus bedeutet für mich: „ich möchte gerade nicht gestört werden“ oder „ich brauche meine volle Konzentration“. Das jedoch zu kommunizieren, bedeutet in gewisser Hinsicht dem Kommunikationspartner die eigenen Regeln und Umgangsformen in gewisser Weise aufzwingen. Das ist nicht besonders sympathisch und wirkt eher so, als sei man überfordert, ein verschrobener Kauz oder einfach arrogant. Wer möchte mit diesen Attributen ernsthaft versehen werden?
Möchte ich aber erreichen, veraltete Verhaltens- und Denkweisen zu überwinden, komme ich um die Kommunikation über Kommunikation und anfangs verstörende Praktiken kaum herum. Auf die Frage hin: „Hey, ich habe Dir gestern Mails geschrieben und versucht dich anzurufen, aber du hast immer noch nicht geantwortet“ ist der Verweis auf die Offline-Oase wahrscheinlich nicht die schlechteste Metapher. Sowie die Nutzung von Smartphones unser Raum-Zeit Kontinuum verändert hat, so müssen die gesellschaftlichen Spielregeln und Gepflogenheiten innerhalb dieser neuen Kommunikationskultur auf den Prüfstein gelegt und angepasst werden. Ein digitaler Knigge zur Frage der Erreichbarkeit und Vernetzung sozusagen. Aber bitte nicht vom Knigge-Rat.
Je vernetzter und erreichbarer die Gesellschaft wird, desto wertvoller wird der Raum für die Abwesenheit von Kommunikation.
Offline wird sonst nur derjenige sein, der es sich leisten kann. In einer wohltemperierten Offlineoase.